Das scharze Decameron
Speer. Sie kamen alle zusammen und machten sich auf den Weg zu Mussas Seriba. Sie kamen in der Nacht an. Sie umzingelten die Seriba. Sie drangen hinein. Sie fingen Mussa und banden ihn an den Händen und an den Füßen. Dann brachten sie ihn derart gefangen zu Hammad Abu Kallam. Die Frau Mussas folgte dem Zuge mit dem Gefangenen.
Als Mussa so vor Hammad Abu Kallam gebracht wurde, sagte der: »So muß ich dich nun wiedersehen. Habe ich dir nicht dies und das und jenes und alles, was möglich ist, an Gutem angetan? Und muß ich nun das erleben?« Mussa sagte: »Du hast mir so viel, zu viel Gutes erwiesen, daß ich es nicht ertragen kann. Wenn du mich nicht tötest, muß ich dich töten.« Hammad Abu Kallam sagte: »Ich weiß das jetzt auch, und deshalb werde ich dich diese Nacht in diesem Raume gefangen halten, morgen aber dich töten.« Mussa sagte: »Das ist gut!« Als Hammad Abu Kallam nun hinausging, folgte ihm Scherifia, seine Schwester, Mussas Gattin. Sie warf sich draußen vor ihrem Bruder nieder, weinte und sagte: »Mein Bruder, ich bitte dich! Laß meinen Mann am Leben!« Hammad Abu Kallam sagte: »Nein, meine Schwester Scherifia! Ich habe deinem Manne zuviel Gutes getan. Soll ich nun deshalb sterben, weil ich dessen zuviel tat?« Scherifia weinte aber noch heftiger und sagte: »Nein, mein Bruder, so meinte ich es nicht! Du sollst nicht sterben. Mein Mann aber auch nicht, denn er ist der Vater meines Kindes.« Darauf hob Hammad Abu Kallam seine Schwester auf und sagte: »Meine Schwester, weine nicht. Aber ohne einen Toten werden wir nicht weiterleben können. Es ist besser, es sterbe nun einer, als daß zwei und mehr zugrunde gehen. Deshalb muß ich deinen Mann töten, wenn du es nicht anders willst.« Dann verhüllte Hammad Abu Kallam sein Haupt und ging in sein Haus. Er setzte sich auf das Angareb.
Scherifia ging in die Wüste hinaus und weinte und weinte. Als es Nacht ward, kam sie aber in die Seriba zurück und ging in den Raum, in dem ihr Gatte gefesselt lag. Scherifia schnitt alle Fesseln durch, mit denen Mussa an den Füßen und an den Händen gebunden war. Dann sagte sie zu ihm: »Nun komm schnell, Mussa, und flieh mit mir!« Mussa sagte jedoch: »Meine Frau, ich bin noch niemals geflohen. Ich kann nicht fliehen, ob die Löwen an meinem Kettengenossen fressen oder ob die Lanzen deines Bruders mich durchbohren müssen! Ich kann nicht fliehen, und ich kann nicht weggehen von hier, ehe ich nicht deinen Bruder getötet habe; denn er hat mir so viel Gutes getan, daß ich ihn nicht mehr am Leben lassen kann.«
Scherifia warf sich wieder auf die Erde und weinte und bat und bat: »Mussa, du starker Mann! Mussa, du Löwentöter! Mussa, du Vater meines Kindes! Mussa, mein Mussa! Ich bitte dich! Ich bitte dich! Laß meinen Bruder am Leben! Ich bitte dich, komm mit mir fort von hier. Es ist keine Flucht! Sieh, es sind viele am Ort, und du bist nur einer! Mussa, dränge dich nicht in den Tod. Denn meine Kinder sind es, die nach deinem Tode weinen werden! Dein Hengst und deine Stute, deine Hunde und alle deine Tiere werden schreien. Die Löwen werden über die Seriba springen und die Kälber schlagen. Deine Hütten und dein Haus werden verfallen. Deine Kinder werden keinen Vater und kein Land haben, weil du, mein Mussa, mein Mann, zu früh hier sterben willst!«
Mussa sagte: »Scherifia steh auf. Wenn dein Bruder tot ist, wird niemand den Streit fortführen. Und wenn ich sterben muß und all das Meine verfällt, dann ist deines Bruders Güte und die Sitte daran schuld, nicht aber meine Bosheit. Stehe also auf!« Scherifia stand auf. Scherifia sagte: »So warte denn hier. Ich will meinen Bruder rufen. Tragt denn eure Sache aus!« Scherifia ging. Sie ging in das Haus, in dem Hammad Abu Kallam auf dem Angareb saß. Sie sagte: »Mein Bruder, ich bitte dich, komm für einige Worte heraus. Mussa möchte mit dir sprechen.« Hammad Abu Kallam erhob sich. Er seufzte und kam heraus. Hammad Abu Kallam sagte: »Was für ein Wort ist es?« Scherifia sagte: »Ich weiß es nicht!« Hammad Abu Kallam sagte: »Jetzt lügst du, meine Schwester!« Dann ging Hammad Abu Kallam zum Hause hinüber. Scherifia warf sich auf die Erde nieder und weinte. Als Hammad Abu Kallam in das Haus eintreten wollte, stieß Mussa ihm den Speer in die Brust.
Am andern Tag kamen die Dorfleute und schlugen Mussa tot.
Sie nahmen alle Herden und alles andere, was Mussa und Hammad Abu Kallam besessen hatten. Die Kinder Mussas wurden verkauft. Scherifia
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