Das scharze Decameron
doch einmal nach ihm sehen, denn sicherlich hat er inzwischen in seiner Gier eine Sache gemacht!« Sie ging hin. Sie fand den Mann. Sie fand den toten Knaben bei ihm. Sie fragte: »Was ist das?« Ansige sagte: »Du kennst mich doch. Tu doch nicht so, als ob du mich nicht kennst. Ich wollte meinen Hammel doch allein essen. Als ich aber im besten Essen war, nahm der Junge das beste Stück fort, um es zu essen. Da habe ich auf ihn geschlagen, und da war er tot.« Die Frau sagte: »Warte, bis es Abend ist, dann wollen wir das erledigen.«
Abends kam die Frau und brachte das Essen. Ansige wollte zugreifen. Seine Frau sagte: »Warte, erst muß die Sache mit dem Jungen geregelt werden. Mein Vater hat ein sehr wildes Pferd. Da wollen wir den Jungen hinbringen.« Ansige nahm mit seiner Frau den Jungen auf und trug ihn mit ihr im Dunkeln dahin, wo das wilde Pferd angebunden war. Dort legten sie ihn nieder. Dann schrie die Frau. Viele Leute kamen auf den Schrei hin herbei. Die Leute sagten: »Was gibt es?« Die Frau sagte: »Seht das Unglück. Ich wollte meinem Mann das Essen bringen. Ich fand ihn nicht, weil er mit dem Jungen hingegangen war, dem wilden Pferd meines Vaters Futter hinzustreuen. Ich ging nach und kam gerade dazu, wie das Pferd hinten aus- und den armen Jungen totschlug.« Die Leute sagten: »Es ist eben ein Unglück.« Sie trugen den Jungen fort.
Ansige ging zurück dahin, wo seine Frau das Essen hingestellt hatte und aß schnell alles auf. Am anderen Tage vergaß er seiner Frau zu sagen, daß sie zu ihm zurückkommen sollte. –
Ansige machte sich auf den Weg und kam zu seiner zweiten Frau. Er kam im Dorf seines Schwiegervaters an, als alle Leute gerade die Mittagsmahlzeit genossen hatten. Er sagte seinem Schwiegervater guten Tag. Man wies ihm eine Wohnung an. Seine Frau sagte zu ihrem Vater: »Es hat gerade alle Welt gegessen. Wie ich aber meinen Mann kenne, hat er großen Hunger mitgebracht. Kann ich ihm nicht irgend etwas zu essen geben?« Der Vater sagte: »Gewiß, bringe ihm doch etwas jungen, gerösteten Mais. Daran kann er sich sättigen.« Die Frau machte sich sogleich auf, holte einen ganzen Korb voll Mais herbei, röstete ihn und brachte ihn ihrem Mann.
Ansige aß allen Mais, der in dem Korb enthalten war. Es blieb auch nicht ein Körnchen übrig. Sonst hätte man zwanzig Männer damit sättigen können. Aber Ansige hatte durch den Genuß des jungen, frischen Mais die Gier noch mehr befallen. Er ging also auf die Felder, dahin, wo er glaubte, daß wohl Mais stehen müsse. Er fand auch das Maisfeld, brach ein gut Teil Kolben ab und nahm sie mit sich. Inzwischen war es aber dunkel geworden, und da Ansige den Weg nicht kannte, so merkte er es nicht, daß ein alter Brunnen im Weg war. Er ging also mit seiner Maislast auf den Brunnen zu und fiel mit dem Mais in den Brunnen hinein.
Inzwischen dachte seine Frau daheim: »Ich kenne doch meinen Mann! Ich muß doch einmal nach ihm sehen, denn sicherlich hat er in seiner Gier inzwischen eine Sache gemacht.« Sie machte sich auf den Weg. Sie kam dahin, wo Ansige den gerösteten Mais gegessen hatte, und sie fand alle leeren Maiskolben. Sie sagte sich: »Sicherlich hat er Gier nach mehr Mais gehabt. Ich werde mal auf das Maisfeld gehen.« Sie ging dahin. Sie kam an den Brunnen. Sie sah unten im Brunnen ihren Mann. Sie sagte: »Was ist das?« Ansige sagte: »Du kennst mich doch. Tu doch nicht so, als ob du mich nicht kennst! Als ich deinen gerösteten Mais gegessen hatte, bekam ich Lust, noch mehr zu essen. Ich suchte das Maisfeld auf. Ich brach mir einen guten Arm voll Kolben ab. Ich ging zurück und fiel auf dem Rückweg mit den Maiskolben in den Brunnen hier.« Die Frau sagte: »Laß nur; ich will dir heraushelfen.«
Die Frau ging. In der Nähe des Brunnens im Maisfeld waren die Rinder. Die Frau jagte die Kühe ins Maisfeld. Als die Kühe emsig beim Grasen waren, schrie sie laut auf. Auf den Schrei hin kamen viele Leute auf das Maisfeld. Sie fragten: »Was gibt es?« Die Frau sagte: »Ach, das Unglück! Mein Mann ging spazieren und sah die Kühe im Maisfeld. Er sah sie die Kolben abbrechen. Er jagte sie und sammelte die Kolben auf, und da er die Gegend nicht kennt, wußte er nicht, daß ein Brunnen im Maisfeld ist, und er fiel hinab. Nun ist er nur wegen der Maiskolben, die er meinem Vater retten wollte, in den Brunnen gefallen.« Die Leute sagten: »Das ist ja nicht sehr schlimm. Man kann ihn schon wieder heraufholen.« Sie kamen mit Licht und mit
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