Das scharze Decameron
dem Lande der Wahrhaftigen). Darauf sagte der Dorfchef nichts, aber die zwei Wanderer erhielten nichts zu essen. Sie kamen am anderen Tage in ein Dorf. Es war die gleiche Sache. Sie bekamen wieder nichts zu essen. So ging es während drei Tagen, und als sie dann gar zu großen Hunger hatten, sagte Kallondji: »So geht es nicht weiter.« Tonjandji sagte: »Nein, so geht es nicht weiter, jetzt kannst du einmal Silatigi sein.« Kallondji sagte: »Gut!«
Sie kamen wieder in ein Dorf. In diesem Dorfe war gerade der Sohn des Häuptlings gestorben. Es war ein wunderschöner Bursche, und keiner kam ihm im ganzen Lande gleich. Als die beiden in das Dorf kamen, klagten alle Weiber, heulten alle Alten. Kallondji kümmerte sich nicht darum, sondern sagte barsch: »Guten Tag, ich will trinken, gebt mir Wasser!« Tonjandji sagte: »Gib acht, daß du die Leute nicht reizt; sieh, alle klagen!« Kallondji sagte: »Ach was! Was gibt es denn?« Die Leute sagten: »Der Sohn unseres Häuptlings ist gestorben, und das war der schönste Bursche im ganzen Lande!«
Kallondji sagte: »Was? Das ist alles? Könnt ihr ihn denn nicht wiedererwecken?« Die Leute sagten: »Nein, kannst du es denn?« Kallondji sagte: »Nichts einfacher als das. Wenn ihr es wollt, kann ich das ja morgen früh tun. Zunächst gebt mir aber einmal Wasser zum Trinken, denn ich habe Durst.« Die Leute sagten: »Wer so etwas kann, darf nicht Wasser trinken, dem soll man Milch bringen.« Man brachte eine große Schale mit Milch. Alle Leute bemühten sich um Kallondji und Tonjandji. Der Dorfhäuptling kam auch herbei und sagte: »Du kannst meinen Sohn erwecken?« Kallondji sagte: »Nichts ist einfacher. Wenn du es zahlst, will ich es morgen früh ausführen.« Der Dorfchef sagte: »Ich will dir zwei männliche und zwei weibliche Sklaven, zwei Kühe und zwei Pferde geben.« Kallondji sagte: »Gut, also morgen früh!« – Darauf kam nun jeder, der einen teuren Verstorbenen hatte, und setzte sich zu Kallondji. Der eine sagte: »Wenn du mir meinen im vorigen Jahre verstorbenen Vater erwecken willst, werde ich dir eine Kuh schenken.« Ein zweiter sagte: »Wenn du mir meine vor zwei Jahren verstorbene Frau erwecken willst, sollst du von mir einen Sklaven erhalten.« Kallondji sagte: »Gut, ich werde euch alle eure Toten morgen früh erwecken und ihr bezahlt mir das dann.« Die Leute brachten Kallondji und Tonjandji sehr viel gute Speise. – Abends sagte Tonjandji: »Wollen wir nun nachts fliehen?« Kallondji sagte: »Warum denn? Morgen werde ich gut verdienen und wir werden ausgezeichnet essen.«
In der Nacht machte sich Kallondji eine kleine Kalebasse zurecht zu einem Baranikurrukurru. (Dies Instrument besteht aus einer Blasekugel, über deren Löcher Membranen von Spinnweben gezogen sind.) Am anderen Morgen fragte Kallondji: »Habt ihr schon das Grab gegraben?« Die Leute sagten: »Ja, das ist geschehen.« Kallondji sagte: »So bringt den Toten dahin und laßt dort alles Volk zusammenkommen.« Er ging selbst hin, stieg in die Grube und höhlte mit den Händen noch sorgfältig den Seitengraben aus. Dann sagte er: »Legt den Toten hinein und deckt ihn mit einem Tuche zu.« Die Leute taten es. Kallondji kroch dann selbst unter das Loch.
Kallondji wandte nun erst den Kopf nach oben und rief laut durch das Tuch in der Richtung auf das versammelte Volk: »Nakunu« (d.h. »ich erwecke dich«). Dann beugte er sich vor und hinab und sprach gegen den Boden in die Blasekugel: »Nilakunu inam bè kunu« (d.h. »wenn du einen erweckst, dann erwecke uns andere Tote auch«). Das wiederholte er dreimal. Dann fuhr er aber empor: »Ach, das ist dumm!«
Der Dorfhäuptling fragte: »Was ist dumm?« Kallondji sagte: »Es ist nichts Besonderes. Es ist da nur dein älterer Bruder, der vor dir das Dorf regiert hat, der will durchaus als erster und vor deinem Sohne erweckt werden. Wir werden ihm als dem ältesten Mitglied deiner Familie willfahren müssen. Warte also einen Augenblick, er ist sogleich am Leben.« Der Häuptling sagte: »Nein, das will ich nicht. Das will ich auf keinen Fall, das will ich nicht.« Er sagte das, denn der verstorbene ältere Bruder war ein sehr guter und beliebter Dorfchef gewesen, während er selbst rauh und unbeliebt war. Wenn nun der ältere Bruder wieder lebendig geworden wäre, so wäre es mit seiner Macht zu Ende gewesen. Der Häuptling sagte also: »Nein, das will ich nicht.« Kallondji sagte: »Das geht aber nicht anders. Entweder alle oder keinen, denn man
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