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Das scharze Decameron

Das scharze Decameron

Titel: Das scharze Decameron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frobenius
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die Eltern Ainis es gewahr wurden. Der Bursche sah aber, daß er auf diesem Wege Aini nicht zur Frau gewinnen würde.
    Eines Abends kam der Bursche wieder an Ainis Fenster. Er warf ein Steinchen herein und Aini kam an das Fenster. Der Bursche sagte: »Aini, ich will heute Abschied nehmen. Ich will weggehen und sehen, ob ich es an einem anderen Ort zu etwas bringen kann, um dich nachher zur Frau gewinnen zu können. Wenn ich etwas Großes bringen kann (soll heißen eine hohe Brautgabe), dann wird dein Vater dich mir geben.« Aini sagte: »So glaube ich, wird es werden.« Der Bursche sagte: »Ich schwöre aber, daß wenn du stirbst, dann will ich auch sterben, und nun schwöre du mir, daß, wenn ich sterbe, du auch sterben willst. Wir wollen nur eines mit dem andern leben. Willst du mir das schwören?« Aini schwor. Aini und der Bursche nahmen Abschied.
    Der Bursche ging am anderen Tage von dannen. Er ging so seiner Wege dahin; da traf er einen alten Mann. Der alte Mann fragte den Burschen: »Wo gehst du hin?« Der Bursche sagte: »Ich gehe dahin, wo ich Brot finde.« Der Alte sagte: »Dann komm mit zu mir. Ich will dein Vater sein. Sei du mein Sohn.« Der Bursche war einverstanden. Er zog zu dem älteren Mann. Der alte Mann war sehr freundlich zu ihm. Sprach mit ihm, aß mit ihm, sorgte für ihn. Eines Tages nun aber kam der Alte dazu, wie der Bursche mit den anderen Burschen des Dorfes spielte. Er hörte, wie der Bursche den Namen seiner Aini rief. – Nun hatte der Alte vor einigen Jahren aber wieder geheiratet, und seine junge Frau hieß Aini. Als der Alte nun hörte, daß der Bursche »Aini« rief, glaubte er, damit meine er seine eigene junge Frau.
    Da wurde der Alte mißtrauisch. Er war nun nicht mehr freundlich zu dem Burschen und sprach nun überhaupt nicht mehr mit ihm. Er ließ den Burschen seine Wege gehen. Der Bursche sagte bei sich: »Es ist hier nicht mehr wie früher, ich will weitergehen und werde es an einem anderen Ort versuchen. Vorher will ich aber noch einmal zum Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es Aini geht.«
    Der Bursche ging zu dem Alten und sagte: »Ich möchte morgen einmal in das Dorf meines Vaters gehen und sehen, wie es da steht.« Der Alte sagte: »Ich werde dich begleiten, denn ich will dort Öl einkaufen.« Sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Als sie nahe dem Dorfe des Burschen waren, kamen sie über den Kirchhof. Sie sahen da ein neu errichtetes Grab. Der Alte fragte einen Hirten, der am Kirchhof seine Herde weidete: »Wer ist hier begraben?« Der Hirt sagte: »Sie haben hier soeben das Mädchen Aini begraben, das gestern gestorben ist.«
    Der Bursche sagte bei sich: »Nun ist also Aini gestorben und begraben. Nun will ich auch sterben.« Der Bursche sagte zu dem Alten: »In unserem Lande begraben sie die Toten anders als in eurem. Ich will es dir zeigen. Komm, wir wollen einmal die Steinplatten aufheben.« Der Bursche hob die Steinplatten auf. Aini lag tot in der Grube. Der Bursche sagte: »Nun bist du tot, Aini; ich werde aber kommen.« Der Bursche legte sich zu der toten Aini in die Grube und sagte zu dem Alten: »Nun decke die Platten wieder über das Grab. Geh dann hin und kaufe dein Öl ein. Kehr du dann heim zu deiner Aini. Ich aber werde hierbleiben bei meiner Aini.« Da deckte der Alte das Grab zu und ging in den Ort, um Öl einzukaufen.
    Am Tage, nachdem Aini begraben war, kam Asrain (der Richtengel), um über die verstorbene Aini zu richten. Als er an das Grab Ainis kam, fand er aber neben der toten Aini den lebenden Burschen. Da sagte Asrain zu dem Burschen: »Was tust du neben der toten Aini? Du lebst! Mit dir habe ich nichts zu tun. Geh von der toten Aini und aus dem Grabe.« Der Bursche sagte: »Es ist mir alles gleich. Aini ist gestorben. Nun will ich auch sterben. Ich bleibe hier im Grabe bei Aini.«
    Asrain kehrte um und ging zu Gott. Asrain sagte: »Etwas Derartiges ist mir noch nicht vorgekommen. Ich ging hin, um die tote Aini aufzusuchen, und fand neben der toten Aini einen lebenden Burschen, und der Bursche sagte, Aini sei gestorben, nun wolle er auch sterben. Der Bursche will das Grab nicht verlassen.« Gott hörte es und sagte zu Asrain und dem Burschen: »Dieser Bursche hatte noch vierzig Jahre zu leben. Wenn er nun hiervon Aini die Hälfte abgeben will, so wird er nur noch zwanzig Jahre leben, aber Aini wird auch noch zwanzig Jahre leben.« – Der Bursche lachte im Grabe. Aini schlug die Augen auf. Aini sah den Burschen neben sich. Aini sagte:

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