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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Weg war zu schmal, die
Reifen fanden auf dem Gras keinen Halt mehr, die Räder
drehten durch. Fluchend schaltete Arved den Motor aus, sprang aus
dem Wagen, warf wütend die Tür zu und lief den Weg
entlang. Zuerst führte er noch ein wenig an der Wiese
vorbei, dann tauchte er in den Wald ein. Ein Bächlein floss
neben ihm, ein Seitentälchen kam in Sicht, der Weg
änderte die Richtung, nirgendwo war das seltsame Kunstwerk
zu sehen. Arved lief, bis Seitenstiche ihn zwangen, langsamer zu
werden. Er keuchte und schnaufte. Blieb stehen. Krümmte
sich. Er holte tief Luft, ging weiter, lief weiter. Der Weg
machte kehrt, hatte das Tälchen umrundet, führte bergab
in Richtung Liesertal.
    Und dann, auf der linken Seite, war in den Hang eine kleine
Lichtung geschlagen. Und mitten auf dieser künstlichen
Lichtung stand ein entrindeter Stamm mit einer seltsamen Krone
darauf und einem mächtigen Nagel, wie ein winziger Kopf auf
dem massigen Holztorso. Daneben war das Bierfass an einer
rostfreien Kette angebunden.
    Mit wenigen Schritten war Arved bei dem Kunstwerk angelangt.
Er schnappte nach Luft, versuchte sich zu beruhigen. Dann sah er
sich um. Der Wald zog sich den Hang hinauf, tote Blätter
bedeckten die Lichtung, nirgendwo eine Spur von Lioba.
Überhaupt keine Spuren. Nachdem sich Arved ein wenig erholt
hatte, lief er weiter bergauf, aber hier war nichts als
undurchdringlicher Wald. Also stolperte er zurück zu dem
Kunstwerk.
    Wo war Lioba? Hier gab es keinen Ort, an dem man sie versteckt
halten konnte. War er der falschen Spur gefolgt? Unmöglich.
Vampyr hatte dieses Werk geschaffen. Wer war er wirklich? Alles
schien zusammenzupassen – aber wie? Arved konnte nicht
behaupten, dass er es begriff. Er betrachtete das Fass. Es war
angegammelt, doch noch eindeutig als Bierfass zu erkennen. Die
Kette war an einem Ende mit einer Stange verbunden, die in den
Boden gerammt war, am anderen Ende war sie an dem Verschluss
festgemacht. Arved betastete ihn; er ließ sich drehen. Er
nahm den Verschluss ab und schaute in das Fass. Es war mit
Granulat gefüllt.
    Und etwas Weißes lag darin.
    Arved griff hinein und zog es hervor. Es war ein Zettel. Auf
ihm stand: Stürz dich in den Abgrund hinter dir. Arved sprang zurück auf den Weg, ging an den
gegenüberliegenden Rand, schaute nach unten.
Tatsächlich war das Tal hier recht abschüssig. Er
kletterte hinunter. Ranken versperrten ihm den Weg und zerrten an
ihm. Er riss sie ab, bemerkte nicht, wie sie ihm blutige
Schrammen beibrachten, er kletterte, schlitterte, schlingerte
immer tiefer, bis er schließlich auf einem Felsvorsprung
zum Stehen kam, von dem aus es noch einige Meter tiefer bis zum
Talgrund ging.
    Unten floss ein Bach, auf den der Gesang von Staren und
Rotkehlchen herabperlte, und im Laub raschelten Amseln und
Waldmäuse um die Wette. »Lioba!«, rief er. Es
war ihm egal, ob die Falschen ihn hörten. Vielleicht konnte
er das Schlimmste noch verhindern. Vielleicht erstarrte der
Mörder in diesem Augenblick, noch bevor er die Tat begangen
hatte. Aber niemand antwortete ihm. Der Wald erstickte seine
Stimme. Dann drehte er sich um.
    Beinahe hätte er es nicht gesehen. Verdeckt von
Brombeerranken und Efeu klebte ein schwarzer Fleck im Fels. Arved
drückte das Gerank zur Seite. Es war der Mund einer
niedrigen Höhle. Nachdem sich Arved einen schmalen Durchgang
gebahnt hatte, schlüpfte er in das kalte Innere des Felsens.
Das Licht drang nur wenige Meter weit, doch weit genug, um Arved
ein Bild der Höhle unmittelbar hinter dem Eingang zu
verschaffen. Sie war abschüssig, und die Decke stieg an,
sodass er schon nach zwei vorsichtigen Schritten aufrecht stehen
konnte. Dann lief sie wie ein von Menschenhand geschaffener
Tunnel geradewegs in den Berg hinein.
    Bald befand Arved sich in völligem Dunkel. Er streckte
die Hände aus, tastete sich an der seltsam glatten Felswand
entlang, die nun eine leichte Biegung nach links machte, und
schon nach wenigen Metern blieb er starr stehen.
    Ein sanfter Lichtschimmer wie von Kerzen drang hinter einer
weiteren, schärferen Biegung nach links hervor.
    Und er hörte Stimmen.

 
26. Kapitel
     
     
    »Es tut mir Leid, Lioba Heiligmann, dass wir dir eine so
große Unannehmlichkeit bereiten müssen, aber es
führt kein Weg daran vorbei«, sagte Valentin Maria
Pyrmont.
    Sie wusste nicht, ob er sie direkt ansah, denn er hatte seine
schwarze Brille nicht abgenommen. Seine Stimme war

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