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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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außer sich vor Angst wie die Katzen.
Lioba war geholt worden, das war ihm klar. Er erinnerte sich an
die Geschichte Vor des Messers Schneide und an den
grausamen Tod der Hauptperson, des Arztes zwischen zwei Frauen.
Der Arzt war eine Verkörperung von Lioba und ihren
früheren Taten, ein männliches Spiegelbild. Saß
sie jetzt vor einer solchen Messerwand, die nach einer bestimmten
Zeit auf sie zuschnellen würde, wenn es ihr nicht gelang,
ihre Ankläger von ihrer Unschuld oder wenigstens ihrer Reue
zu überzeugen? Es machte ihn rasend. Wohin war Lioba
gebracht worden?
    Arved lief durch sein Haus, wurde immer aufgeregter. Er musste
etwas tun. Aber was? Wie sollte er den Ort finden? Oder war es
schon zu spät? Der Arzt in der Geschichte hatte zwei Stunden
Zeit. Wie lange war Lioba schon fort? Panik überspülte
ihn, riss ihn in die Tiefen seiner Gefühle.
    Das Buch! Das Schattenbuch. Er hatte es vergessen, hatte es in
Trier gelassen. Bei den anderen beiden Erzählungen gaben die
Illustrationen, die scheinbar wenig oder nichts mit dem Text zu
tun hatten, Hinweise auf den Ort der Qualen. Bei Manfred Schult
war es der Spiegel gewesen, hinter dem er ermordet worden war,
bei Arved der Bergfried der Oberburg, von dem er sich beinahe
gestürzt hatte. Was war auf dem Bild der zweiten Geschichte
dargestellt? Arved versuchte sich zu erinnern, aber in seinem
Kopf war alles blank und leer. Er rieb sich die Schläfen,
als könne er damit das Bild in die Wirklichkeit
hineinmassieren. Es war etwas Absurdes gewesen, mit dem er nichts
hatte anfangen können. Selbst wenn er sich erinnern
konnte…
    Eine Lichtung. Plötzlich kamen ihm Teile des Holzschnitts
in Erinnerung. Eine Lichtung mit einem Stumpf in der Mitte, der
so etwas wie eine Krone trug. Und ein gewaltiger Nagel, der von
oben in ihn hineingetrieben war. Und da war noch etwas gewesen.
Arved setzte sich auf sein Sofa, schloss die Augen, versuchte
sich die Illustration vorzustellen. Rechts von dem Stumpf hatte
etwas gelegen. Etwas Seltsames. Ja, es war an einer Kette
befestigt. Es war absurd gewesen. Aber was war es?
    Arved sprang auf, lief hin und her. Die Katzen waren
verschwunden. Er öffnete die Tür zur Terrasse, wie aus
dem Nichts huschten zwei schwarze Knäuel heran und
stürmten hinaus ins Grüne, offenbar erleichtert, der
vergifteten Atmosphäre des Hauses entkommen zu können.
Arved stand in der Tür und schaute auf die Wiesen, die
Obstbäume, aus deren Äpfeln im Herbst teilweise Schnaps
gebrannt wurde.
    Schnaps. Etwas klickte in seinem Kopf. Nein, es war kein
Schnaps gewesen, keine Branntweinflasche, aber er war nahe
dran.
    Arved ging zurück ins Haus, in die Küche und holte
sich aus dem Kühlschrank ein Bier. Vielleicht würde es
ihn etwas ruhiger machen. Ihm war nur zu deutlich bewusst, dass
möglicherweise jede Minute kostbar war und über Liobas
Leben entscheiden konnte. Als er den Kronkorken von der Flasche
entfernte, kam die Erinnerung.
    Es war ein Bierfass gewesen. Zumindest hatte es wie ein
solches ausgesehen. Jetzt stand ihm das seltsame, grob
ausgeführte Bild wieder deutlich vor Augen. Er atmete auf.
Aber was hatten diese merkwürdigen Dinge mit dem Ort zu tun,
an dem Lioba vermutlich gefangen gehalten wurde? In welchem
Umkreis mochte sich dieser Ort befinden? Der Spiegel war in Trier
gewesen, der aus dem geöffneten Buch heraus wachsende
Bergfried hatte die Manderscheider Oberburg bezeichnet. Lag der
dritte Ort in oder bei Trier, oder auch in der Eifel? Und was
sollten dieses Fass und der bekrönte Stamm bedeuten?
Irgendwie erinnerte das Ensemble Arved an moderne Kunst –
an Kunst in der freien Natur. Aber wie sollte er herausfinden, wo
dieses Kunstwerk stand, falls es überhaupt ein solches war?
Arved spürte, wie ihm die Zeit durch die Hände
rann.
    Oder handelte es sich nur um einen Platz, wie er manchmal vor
Grillhütten anzutreffen war? War eine Schutzhütte
gemeint? Oft wurden diese Hütten für Gelage benutzt,
was das Bierfass erklären würde. Aber warum war es
angekettet? Und warum dieser bekrönte Stamm? Außerdem
war auf dem Bild nichts von einer Hütte zu sehen gewesen.
Nein, es musste eine andere Erklärung geben.
    Arved trank die halbe Hasche in einem Zug leer. Er wischte
sich den Schaum vom Mund. Würde man Lioba von hier
entführt haben, wenn der Ort sehr weit entfernt wäre?
Falls er bei Trier lag, hätte man dann nicht gewartet, bis
sie wieder zu Hause war? Hatte

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