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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Nachdem sie die unverschlossene Haustür
aufgedrückt hatten, klopften sie an einer Tür mit der
verschnörkelten Aufschrift Büro. Sie wurden
hereingerufen. Lioba fragte die Sekretärin sofort nach
Thomas Carnacki und erntete nur einen verständnislosen
Blick. Schließlich ließ sich die Sekretärin
– ein Zerberus alten Schlages mit so glitzernd grünen
Augen, dass Arved zu glauben geneigt war, sie trage farbige
Kontaktlinsen – dazu herab, ihren Chef zu rufen.
    Ein paar Minuten später rauschte ein dynamisch-sportlich-
höhensonnengebräunter Jungindustrieller herein und
musterte seinen ungebetenen Besuch erst einmal von oben bis
unten. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«,
floskelte er schließlich.
    Noch einmal brachte Lioba ihr Anliegen vor, während Arved
hinter ihr stand und sich weit weg von diesem forschen
Erfolgsmenschen wünschte.
    »Carnacki? Nie gehört. Aber ich vermute, Sie reden
mit dem Falschen.« Er zeigte eine Reihe perlweißer
Zähne.
    »Wieso?«, fragte Arved hinter Liobas
Rücken.
    »Ich habe diese Druckerei vor drei Jahren von meinem
Vater übernommen. Wenn überhaupt, dann hat er mit
diesem Carnacki zu tun gehabt. Ich habe das hier auf Vordermann
gebracht, hab dem Ganzen einen flotten Namen gegeben. Mein Vater
wollte immer nur diese kleinen Bücher drucken und binden,
die kein Geld bringen. Ich hab ihm immer gesagt, er muss
Werbeprospekte drucken, das bringt’s. Sehen Sie sich nur
um. Der Laden brummt.«
    »Haben Sie die alte Geschäftskorrespondenz Ihres
Vaters noch?«, fragte Lioba.
    Der Jungunternehmer fuhr sich mit der perfekt manikürten
Hand über die Fönfrisur. »Alles weggeworfen,
nachdem mein alter Herr sein Gewerbe abgemeldet hat. Tut mir
Leid.«
    »Vielleicht kann er sich an Carnacki erinnern«,
beharrte Lioba und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie
wirkte, als wolle sie hier stehen bleiben, bis sie entweder die
gewünschten Informationen erhielt oder die Welt
unterging.
    »Keine Ahnung. Er lebt in seiner eigenen Welt. Wir sehen
uns nicht mehr oft.« Plötzlich schimmerte durch die
glatte Fassade des Erfolgsbeaus so etwas wie Trauer. »Wenn
Sie wollen, können Sie ihn besuchen. Er lebt kurz hinter
Wittlich auf einem Hof gegenüber des jüdischen
Friedhofs.« Leise fügte er hinzu. »Sein
elterlicher Hof. Er will nicht mehr weg von da. Bin schon lange
nicht mehr dort gewesen. So abgelegen, wissen Sie?«
    * * *
    Sie fuhren mit Liobas Auto. Hinter Wittlich, an der
Straße nach Minderlittgen, zweigte ein schmaler Feldweg
nach links ab. Eine weiß und rot gestreifte Schranke
verhinderte die Durchfahrt, und auf einem kleinen weißen
Schild, das auf den Weg hinter der Schranke deutete, stand: Jüdischer Friedhof. Schlüssel beim Kulturamt
Neustraße 2, Wittlich, erhältlich.
    Lioba parkte vor der Schranke, und sie gingen links an ihr
vorbei bergan. Sie kamen an einem Hochsitz vorbei, einem
Todesturm für das ahnungslose Wild, und der Weg wand sich an
Feldern und Wiesen entlang. In der Ferne stand ein dunkler
Eichenhain wie ein erfrorener Gedanke. Still war es hier, nur
manchmal hörte man aus der Ferne ein Auto auf der
Straße nach Minderlittgen.
    Der Hof lag gegenüber des Eichenwäldchens, in dem
sich der jüdische Friedhof mit seinen alten Gräbern
befand. Ein altes Haus wurde von einer verfallenen Scheune
bedrängt. Auf der anderen Seite schlossen Schuppen und
Verschläge den Hof ein. Arved drängte sich die
Erinnerung an das Haus des Künstlers in Kornelimünster
auf. Auch hier sprosste das Unkraut, auch hier blätterte die
Fassade ab. Es war, als verfalle alles, was mit Carnacki in
Berührung kam.
    Ein Hund bellte, zerrte an seiner Kette. Es war ein
Bernhardiner. Ein Mann kam aus dem Haus, die Tür hatte offen
gestanden. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und
schaute Arved und Lioba herausfordernd an. Er war etwa sechzig
Jahre alt, dünn, weißhaarig und weißbärtig,
und obwohl er keinen Zopf hatte, erinnerte er Arved stark an
Valentin Maria Pyrmont.
    »Was wollen Sie?« Die Stimme des alten Mannes war
voll und dunkel. Arved spürte, dass es endlich einmal an der
Zeit war, dass er selbst das Gespräch begann und
führte. Er erklärte den Grund ihres Besuchs und fragte
nach dem Schattenbuch. Die Augen des alten Mannes leuchteten auf,
und das Abweisende in seiner Haltung löste sich.
»Kommen Sie doch herein«, sagte er.
    Bald darauf fanden sich Arved und Lioba in einem Wohnzimmer
wieder, das wie

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