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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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heute, wo Sie von Amerika aus sprechen und es sich so
anhört, als würden Sie in Rufweite stehen. Nie zuvor
und nie danach habe ich eine solche Stimme gehört. Auch wenn
ich der vergesslichste Mensch der Welt wäre, würde ich
diese Stimme auf keinen Fall vergessen können. Ich bin froh,
dass ich sie nie wieder gehört habe. Er sagte:
›Gleich kommt ein Auftrag für Sie. Er besteht aus
einem Buch mit drei Novellen und drei dazugehörigen
Illustrationen. Der Künstler hat je hundert Abzüge
gemacht. Werfen Sie neunundneunzig davon weg, setzen Sie das Buch
und drucken Sie es aus der Garamond-Antiqua auf
Zerkall-Bütten in einem einzigen Exemplar. Binden Sie es in
braunes Oasenziegenleder. Wenn Sie fertig sind, packen Sie das
Buch gut ein und legen es in den Mülleimer der
Wanderhütte Weifelsjunk auf dem Lieserpfad zwischen Wittlich
und Manderscheid. Man kann mit dem Wagen ziemlich nahe
heranfahren, also brauchen Sie keinen weiten Fußweg auf
sich zu nehmen.‹ Dann legte er auf. Das war der seltsamste
Auftrag, den ich je erhalten habe.«
    »Dann hat er Ihnen seine Adresse gar nicht
genannt?«, fragte Arved enttäuscht.
    »Wieso interessiert Sie das – nach so langer
Zeit?«, fragte der Drucker zurück.
    »Wir haben unsere Gründe«, antwortete Lioba
ausweichend.
    »Also gut«, meinte der alte Drucker und legte die
Hände unter dem Kinn zu einem Dach zusammen. »Ich habe
den Anweisungen gemäß gehandelt, aber natürlich
wollte ich wissen, wer mein Auftraggeber war. Ich war drei Wochen
später fertig; es war ein Freitag. Gegen Mittag war ich an
der verabredeten Stelle, und nachdem ich das Buch in der
Mülltonne verstaut hatte, bin ich zurück in meinen
Wagen gegangen und habe gewartet. Tatsächlich kam bald ein
Taunus mit Trierer Kennzeichen, aber irgendwie konnte ich den
Fahrer nicht erkennen. Ich glaube, die Sonne hat mich geblendet.
Dann muss ich eingeschlafen sein, obwohl ich tagsüber
früher nie geschlafen habe. Das Nächste, an das ich
mich erinnere, war Brandgeruch. Ja, Sie haben richtig
gehört. Es stank wie bei einem Waldbrand. Ich habe mir die
Augen gerieben und nicht glauben wollen, was ich da gesehen habe,
aber ich habe es wirklich gesehen, dessen bin ich mir sicher. Es
waren kleine Flammenzungen auf dem Weg, die bald erloschen sind,
und darüber schwebte etwas Schwarzes heran – wie ein
Atemhauch der Hölle. Dann ist der Taunus losgefahren. Ich
bin ihm gefolgt – im Sinne der Detektivkunst bestimmt nicht
sehr professionell. Irgendwann hatte ich den Eindruck, dass er
mich bemerkt hat. Aber er hat nicht versucht, mich
abzuhängen, im Gegenteil. Es war fast, als wollte er, dass
ich ihn verfolge.«
    Arved versuchte die Erzählung des Druckers
abzukürzen. »Wohin ist er gefahren?«
    »Nach Trier-Nord, in die Riverisstraße, dort
schien er zu wohnen. Er hat die Haustür aufgeschlossen, was
ich vom Wagen aus beobachtet habe, aber komischerweise konnte ich
den Mann selbst immer noch nicht deutlich erkennen. Es war, als
wäre er von einem Schatten umgeben, als wäre um ihn
herum schon Abenddämmerung, wenn Sie verstehen, was ich
meine. Von Flammen war allerdings nichts mehr zu sehen –
weiß der Teufel, wo die hergekommen waren, da hinten im
Wald vor Manderscheid.«
    Arved verstand es nicht. Lioba sah den Mann ebenfalls fragend
an.
    Der Drucker redete weiter: »Es war die zweite
Häuserreihe, Hausnummern gibt es da ja nicht. Und dann stand
er auf einmal an einem der Fenster. Es war im ersten Stock,
rechts neben dem Treppenhaus, das weiß ich noch genau. Er
hat die Rolllade heruntergelassen. Aber vorher hat er mir noch
zugewinkt. Jetzt hatte ich den Beweis dafür, dass er mich
bemerkt hatte. Es war, als habe er mich absichtlich zu seiner
Wohnung gelockt. Er war genauso wenig zu erkennen wie
draußen auf der Straße.«

 
7. Kapitel
     
     
    Sie fuhren im Konvoi nach Trier. Immer wenn Lioba in den
Rückspiegel schaute und den riesigen Bentley sah, musste sie
lächeln. Arved war zwar kein kleiner oder schmächtiger
Mann, aber hinter dem Lenkrad dieses vorzeitlichen Ungetüms
schien er regelrecht zu verschwinden.
    Sie hatten beschlossen, zuerst zu Mittag zu essen und dabei
ihr weiteres Vorgehen zu besprechen. Als sie im Restaurant Zum
Domstein saßen und Arved seinen Orangensaft und Lioba
ihr Bier vor sich stehen hatte, meinte Arved: »Es ist doch
äußerst unwahrscheinlich, dass Carnacki nach über
zwanzig Jahren immer noch in dieser

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