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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Brot und belegte sie dick mit rohem Schinken. Dabei
hörte er, wie die Katzen in die Küche huschten. Der
Hunger hatte sie hereingetrieben. Sie waren so unberechenbar. In
den Monaten nach dem Umzug hatten sei sich zu anhänglichen
Schmusetigern und treuen Mäusejägern entwickelt. Doch
jetzt waren sie seltsam scheu geworden. Er nahm das Katzenfutter
aus dem Schrank, drehte sich um – und sah, dass er allein
in der Küche war.
    Aber er spürte, dass er nicht allein war. Hatten Lilith
und Salomé sich neben dem Herd versteckt? Er glaubte, es
dort rascheln zu hören. Langsam bückte er sich. Ja, da
war etwas neben dem Herd. Da wand sich etwas. Wie eine
glänzende Riesenschlange. Ihm stockte der Atem und seine
Bewegungen gefroren. Als er sich wieder regen konnte, war es
verschwunden. Hatte sich vor seinen Augen aufgelöst. Er
dachte an seine Erlebnisse im vergangenen Jahr. War das ein
Rückfall? Nein, das hier war etwas völlig anderes. Er
hielt sich am Einbauschrank fest.
    Draußen hörte er Vögel den Abend herbeisingen
und er sah die Schemen zwischen den Obstbäumen auf der
anderen Seite der schmalen Straße. Die Kühe waren wie
schwarze Rätselzeichen auf einem Palimpsest. Alles normal.
Aber das war das eigentlich Erschreckende: die Normalität.
Arved hatte so oft versucht, sie von sich fernzuhalten. Er hatte
geglaubt, als Priester sich ganz in Gott versenken zu
können, und immer, wenn das Leben ihm zu nahe gekommen war,
hatte er sich bemüht, es auf Abstand zu halten. Es war ihm
nur selten gelungen. Manchmal hatte er sich regelrecht
verweigert, wenn er sich einer Situation nicht gewachsen
fühlte. Vielleicht war das einer der tieferen Gründe
gewesen, warum er das Priesteramt verlassen und sich damals in
der Predigt um Kopf und Kragen geredet hatte. Es war wohl nichts
anderes als der Versuch einer Flucht aus dem Leben gewesen. Er
hatte Reliquien gesammelt, wie jene junge Frau in der ersten
Geschichte des Schattenbuches Bücher sammelte, und er hatte
sich an ihnen festgehalten, als gäben sie ihm die
Sicherheit, die das Leben nicht bieten konnte. Er hatte die
Schlünde seiner Existenz mit diesen Dingen zu stopfen
versucht und geglaubt, einen Befreiungsschlag zu landen, als er
die Sammlung verkaufte. Und nun hatte sich wieder ein solcher
Schlund geöffnet.
    Arved wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es war
kein Zufall, dass er zu diesem Zeitpunkt die Schwärze
gesehen hatte, ganz nah bei ihm. Die Suche nach Carnacki kam
morgen an ihr Ende, und danach folgte Leere. Mittwochs Besuche
bei Lioba. Wanderungen über den Lieserpfad oder zum Kiesberg
oder zur Bleckhausener Mühle. Katzenfüttern.
Katzenkraulen. Einkaufen. Woran sollte er sich in seinem Leben
noch festhalten? An Lioba? Sie verwirrte ihn. Er dachte lieber
nicht über sie nach. Er war noch immer Priester, würde
nie laiisiert werden.
    Warum fühlst du dich an eine Institution gebunden, die
dich vom Dienst suspendiert hat?, fragte es in ihm. Du
hältst dich noch an ihre Regeln, weil du nichts anderes
hast.
    Als er die Küche verließ, warf er noch einen Blick
neben den Herd. Natürlich war da nichts. Aber als er die
Schwelle überschritten hatte, glaubte er hinter sich ein
Rascheln zu hören. Er drehte sich nicht um.
    * * *
    Er war noch vor Lioba in der Kurfürstenstraße.
Natürlich hatte er es nicht unterlassen können, schon
bei der Nummer 19a vorbeizuschauen. Sein Jagdfieber war wieder
angefacht worden.
    Es handelte sich um ein kleines, lang gestrecktes Haus in
einem Hinterhof zwischen einem griechischen Restaurant und einem
Beerdigungsinstitut. Über der Durchfahrt in den Hof stand: Vision Druck 2000. So viel Arved von außen erkennen
konnte, handelte es sich um eine Druckerei. Das hier war
sicherlich nicht Carnackis Zuhause. Bestimmt hatte er hier das
Schattenbuch drucken lassen. Das hieß, dass die Suche
weiterging. Ungeduldig lief er vor dem Durchgang auf und ab und
wartete auf Lioba.
    Sie kam zehn Minuten zu spät. Er hörte den schweren
Tritt ihrer mächtigen Wanderstiefel eher, als dass er sie
sah. Sie lief auf ihn zu, schüttelte ihm freundschaftlich
und mit beinahe schmerzhaft festem Druck die Hand und schaute in
den Durchgang, hinter dem das Haus mit der Nummer 19a lag.
»Es sieht so aus, als wäre unsere Suche noch nicht
beendet«, sagte sie.
    Sie durchquerten den Hof, der auf der linken Seite von einem
niedrigen Gebäude und auf der rechten von einer Mauer
begrenzt wurde.

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