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Das Schattenbuch

Das Schattenbuch

Titel: Das Schattenbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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aus den fünfziger Jahren in die Gegenwart
versetzt wirkte. Cocktailsessel, Nierentisch und
Tütenlampen, alles in ausgezeichnetem Zustand. Arved setzte
sich in einen der frischgrün bezogenen Polstersessel, Lioba
nahm ihm gegenüber Platz, und der alte Mann hockte sich auf
die Kante der Couch, deren Beine wie Insektenfühler
aussahen. Arved berichtete von ihrer Suche nach dem Autor des
Schattenbuches, und der alte Mann, der sich ihnen als Jakob
Blumenberg vorgestellt hatte, lächelte versonnen.
    »Ich erinnere mich gut an diesen komischen
Auftrag«, sagte er. »Damals war ich noch in der
Kurfürstenstraße, wo jetzt mein Sohn seine…
seine… Arbeit macht. Ich habe meine Maschinen hier
heraufgeschafft. Wollen Sie sie sehen?« Schon war er
aufgesprungen und lief aus dem Zimmer, aus dem Haus. Arved und
Lioba blieb nichts anderes übrig, als die Zeitmaschine zu
verlassen und ihm nach draußen in die Gegenwart zu
folgen.
    Jakob Blumenberg eilte in einen der Schuppen rechts des
Hauses. Der Bernhardiner schaute aufmerksam zu, gab aber keinen
Laut von sich. Nachdem Arved sich an das Zwielicht gewöhnt
hatte, das dem alten Mann nichts auszumachen schien, erkannte er
eine altmodische Druckerpresse, eine Maschine zur Herstellung von
Bleilettern und einige Gerätschaften zum Buchbinden. Alles
war in Benutzung; Blumenberg schien an einem neuen Projekt zu
arbeiten.
    Er deutete stolz auf seine Maschinen und sagte:
»Manchmal denke ich, ich bin der Letzte meiner Art.«
Er erzählte lang und breit die Geschichte des Buchdrucks,
und Arved wurde immer nervöser. Lioba trat neben ihm von
einem Bein aufs andere und räusperte sich so oft, als habe
sie einen ganzen Froschteich im Rachen, aber Blumenberg
ließ sich nicht von seinem Vortrag abbringen.
    Als er einmal Luft holen musste, nutzte Arved die Gelegenheit:
»Erinnern Sie sich noch an das Schattenbuch?«
    »Aber selbstverständlich, junger Mann. Mein
Gedächtnis ist immer schon ausgezeichnet gewesen. Damals
habe ich ganze Arbeit geleistet. Feinstes Zerkall-Bütten,
Bleisatz aus der Garamond-Antiqua und ein Einband auf fünf
Bünden aus Oasenziegenleder mit Rückengoldprägung.
Die Illustrationen, die ich einbinden musste, fand ich allerdings
nicht sehr gelungen.« Er stützte sich auf einem in
eine Binderpresse eingespannten Buchblock ab.
    Arved sah, wie Lioba zustimmend lächelte. »Haben
Sie den Text gelesen?«, wollte Arved wissen.
    »Junger Mann, ich lese nie Bücher, die ich drucke
und binde.«
    »Wie können Sie denn dann die Texte setzen?«,
fragte Arved verblüfft.
    »Buchstabe für Buchstabe. Ich setze sie, aber ich
setze sie nicht zusammen, verstehen Sie?« Der alte Drucker
grinste Arved an, als habe er ihm ein großes Geheimnis
verraten.
    Lioba wurde ungeduldig. »Haben Sie die Adresse des
Autors?«, fragte sie mit einer gewissen Schärfe in der
Stimme.
    Blumenberg bedachte sie mit einem Blick, der ihrem Ton
entsprach. »Bücher sind lebende Wesen, junge Frau. Man
zieht sie auf, man hegt und pflegt sie, aber man weiß nie,
was wirklich in ihnen steckt. Genau wie bei einem Kind.« Er
zog die Mundwinkel nach unten. »Haben Sie
Kinder?«
    Lioba erwiderte nichts darauf; sie schien zum ersten Mal in
Verlegenheit geraten zu sein, wie Arved verwundert
feststellte.
    Der Drucker fuhr fort, während er den eingepressten
Buchblock streichelte: »Aber im Gegensatz zu Kindern haben
Bücher viele Väter. Ich bin einer von ihnen, was das
Schattenbuch angeht. Den Illustrator können wir außer
Acht lassen. Wer Valentin Maria Pyrmont heißt und sich
Vampyr nennt, ist entweder einfallslos oder geistig
unterbelichtet. Von ihm habe ich damals das Buch bekommen. Mit
derselben Post kam ein reichliches Entgelt, und eine Stunde vor
dem Eintreffen des Postboten habe ich einen Anruf bekommen, bei
dem es mir kalt den Rücken heruntergelaufen ist.« Er
schaute von Arved zu Lioba und setzte sich dann auf den Tisch,
auf dem die Bindepresse stand. Seine Beine baumelten von der
Platte herab. »Es war der 16. Februar 1981, ich weiß
es noch genau. Sie sehen, mein Gedächtnis ist gut. Das
Telefon klingelte, und ich nahm ab. Zuerst war am anderen Ende
gar nichts. Ich dachte schon, jemand habe sich einen Scherz
erlaubt, aber dann kam die Stimme.« Blumenberg
schüttelte sich. »Sie klang wie aus dem Grab, wenn Sie
wissen, was ich meine. Sehr dumpf und von ungeheuer weit
entfernt. Damals war die Telefontechnik noch nicht so weit wie

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