Das Schattenkind
erfüllte sie mit Genugtuung, daß auch Samuel nichts von Edwina gehalten hatte.
Sie stiegen den Fußpfad zum Meer hinunter. Jonathan Thorburn hatte dafür gesorgt, daß ein Ruderboot am Strand bereitlag. David maulte zwar, als Laura ihm die Schwimmflügel überstreifte, die sie im Boot gefunden hatte, aber die junge Frau war da unerbittlich. Auch wenn sie nicht damit rechnete, daß das Boot kentern könnte, wollte sie kein Risiko eingehen.
"Als wäre ich ein Baby", murmelte David aufgebracht und kletterte ins Boot. "Manuel muß auch keine Schwimmflügel tragen."
"Weil er sie nicht braucht", erwiderte Laura. Sie stieß das Boot ins Wasser, dann kletterte sie ebenfalls hinein und steuerte es mit kräftigen Ruderschlägen aus der Bucht hinaus. Hoch über ihnen kreisten einige Möwen. Es ging kaum Wind. Das Meer war so glatt wie ein Handtuch.
David beruhigte sich wieder. Er ließ die Händchen ins Wasser baumeln. "Werden wir auch schaukeln?" fragte er und tat, als wollte er das Boot aus dem Gleic h gewicht bringen.
"Untersteh' dich", warnte Laura. "Nimm dir ein Beispiel an Man u el. Er sitzt ruhig und brav auf seiner Bank. Er weiß genau, wie man sich in einem Boot zu bene h men hat."
David nagte an der Unterlippe. "Was macht Manuel jetzt?" fragte er.
Die junge Frau überlegte blitzschnell. Sie ahnte, daß David sie pr ü fen wollte. "Im Moment kann ich ihn nicht sehen", erwiderte sie. "Es muß an der Sonne liegen. Sie blendet."
Ihre Antwort schien den kleinen Jungen zufriedenzustellen. Er fragte sie, wann sie wieder einmal einen Ausflug nach Exeter machen würden. Dann wollte er wissen, ob sie mit ihm nach London fahren würde, um die Kön i gin zu besuchen.
"Die Königin kann man nicht so einfach besuchen", erwiderte La u ra. "Man muß warten, bis man von ihr eingeladen wird."
"Aber vielleicht weiß die Königin gar nicht, daß es mich gibt", meinte der Kleine. "Wir könnten ihr schreiben und von mir erzählen."
"Ich würde damit noch warten, bis du älter bist, David", riet Laura. "Es..." Von einer Sekunde zur anderen sah sie Manuel. Sein Gesicht war angstverzerrt. Unwillkürlich umklammerte die junge Frau die Ruder etwas fester. Sie waren etwa fünfhundert Meter vom Land en t fernt. Irgend etwas stimmte nicht, auch wenn sie nicht die geringste Ahnung hatte, was es sein konnte.
Plötzlich begann das Boot zu schaukeln. "Halt dich fest, David!" rief sie dem Fünfjährigen zu und versuchte, das Boot ruhig auf dem Wasser zu halten. Aber obwohl es so gut wie keinen Seegang gab, wurde das Schaukeln i m mer heftiger.
"Ich habe Angst", flüsterte David schrecken s bleich.
Laura ließ die Ruder los, hielt sich mit der rechten Hand fest und beugte sich dem Wasser zu. Ein langer, dunkler Schatten bewegte sich unterhalb des Bootes.
"Miß Laura!" schrie David entsetzt auf, als sich jetzt etwas Schw e res von unten gegen das Boot stemmte.
"Halt dich fest, David!"
Laura tat alles, um das Boot im Gleichgewicht zu halten, aber es war vergebens. Plötzlich wurde es auf der rechten Seite angehoben. Bevor sie noch nach David greifen konnte, schlug es bereits um.
Sie stürzten ins Wasser. Laura war von jeher eine gute Schwimm e rin gewesen. Sie stieß nach oben, holte keuchend Luft, während sie sich gleichzeitig nach David umsah. Sie konnte ihn trotz seiner Schwimmflügel nicht sehen. Entsetzt tauchte sie, um unter Wasser nach ihm zu suchen.
Etwa fünf Meter von ihr entfernt schwamm ein Taucher. Er hielt das sich windende Kind mit dem rechten Arm an sich gepreßt.
Laura hatte keine Zeit nachzudenken. Wenn sie nicht sofort ha n delte, ertrank David. So schnell sie konnte, schwamm sie dem Taucher nach. Er war so mit dem Kind beschäftigt, daß er sie erst bemerkte, als sie ihn schon fast erreicht hatte. Ohne David loszulassen, der inzw i schen bewußtlos geworden war und schlaff in seinem Arm hing, wandte er sich ihr zu. Plötzlich hielt er ein Messer in der linken Hand.
Die junge Frau ließ sich von dem Messer nicht erschrecken. Sie hatte viel zu große Angst um David, als daß sie geflohen wäre. Seku n den zuvor war sie noch einmal aufgetaucht und hatte Luft geholt, jetzt schwamm sie direkt auf den Taucher zu. Er stieß mit dem Messer nach ihr. Im letzten Moment wich sie aus. Bevor er noch darauf reagieren konnte, hatte ihm Laura bereits mit dem Ellbogen das Messer aus der Hand geschlagen. Schon im nächsten Augenblick entriß sie ihm das Mundstück des Sauerstoffschlauches.
Der Taucher sah, daß die junge Frau
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