Das Schattenkind
eine Gegnerin war, die er fürchten mußte. Er ließ den bewußtlosen Jungen fallen und schwamm auf das offene Meer zu.
Lauras Lungen begannen unerträglich zu schmerzen. Sie stieß steil nach oben, schnappte keuchend nach Luft und tauchte erneut, um D a vid zu holen, der hilflos im Wasser trieb. Das Kind im Arm schwamm sie auf das Ufer zu.
Völlig erschöpft kletterte die junge Frau ans Ufer und legte den Jungen in den Sand. Obwohl sich alles um sie herum zu drehen schien, begann sie sofort mit den Wiederbelebungsversuchen, die man ihr bereits als Fünfzehnjährige beigebracht hatte. Als sie einmal kurz au f blickte, glaubte sie Manuel dicht neben David auf einem Findling hocken zu sehen.
Der Gärtner eilte den Pfad zum Strand hinunter. "Was ist denn passiert, Miß Newman?" rief er ihr zu. "Oh je, Master David!" Er kniete sich neben den Jungen. "Kommen Sie, ich helfe Ihnen."
"Holen Sie bitte Hilfe, Mister Wolters", bat Laura, ohne die Wi e derbelebungsversuche zu unterbrechen. "Vor allen Dingen brauchen wir Decken. Bitte, beeilen Sie sich. Und man soll einen Arzt verständ i gen."
Wolters zögerte einen Augenblick, dann sprang er auf. Eilig kle t terte er den Klippenpfad wieder hinauf.
David begann zu husten.
Laura fiel ein Stein vom Herzen. Sie hielt den kleinen Jungen so, daß er das geschluckte Wasser ausspucken konnte. "Es wird alles wi e der gut, Lovely", sprach sie tröstend auf ihn ein. "Hab' keine Angst."
David holte tief Luft. "Das Boot..." stammelte er. "Da war ein Schwarzer Mann." Zitternd klammerte er sich an sie.
Die junge Frau hob ihn hoch. Das Kind in den Armen ging sie auf den Klippenpfad zu. Sie wollte nicht am Strand auf Hilfe warten. Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie trotz des warmen Tages vor Kälte zi t terte.
Der Gärtner und ein jüngerer Mann kamen ihr entgegen. Sie hatten Decken mitgebracht. Wolters nahm ihr David ab und hüllte ihn warm ein. Die zweite Decke bekam sie.
"Dr. Riley ist bereits unterwegs", berichtete der Gärtner, während sie den Pfad hinaufsti e gen.
"Danke", murmelte Laura. Es fiel ihr schwer, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie befürchtete, von einer Sekunde zur anderen zusammenzubrechen.
Ein Teil des Personals hatte sich in der Halle von Thorburn Hall versammelt. Stumm traten die Leute beiseite, als sie zur Treppe gi n gen. Laura fühlte, daß man sie bereits verurteilt hatte, bevor man übe r haupt wußte, was geschehen war.
"Ist Mister Thorburn schon zurück, Burton?" fragte sie den Butler, als dieser auf sie zuging.
"Nein, bis jetzt noch nicht, Miß Newman", antwortete der alte Herr. Mißbilligend ließ er seinen Blick über sie gleiten.
Lady Ireen erschien auf der Galerie. Mit einem Aufschrei stürzte sie sich auf David und riß ihn aus Wolters Händen. "Mein armer Ju n ge!" stieß sie hervor und drückte den Kleinen heftig an sich. "Was haben Sie mit ihm gemacht, Miß Newman?" Ihre Augen funkelten vor Zorn. "Verlassen Sie sich darauf, diese Sache wird ein Nachspiel h a ben."
"Man hat versucht, David zu ermorden", sagte Laura mit fester Stimme. Es wurde so still, daß man das Fallen einer Stecknadel hätte hören können.
"Ermorden?" Lady Ireen lachte ironisch aus. "Ein hübsches Mä r chen haben Sie sich da ausgedacht, um Ihre Unzulänglichkeit zu b e mänteln", behauptete sie und trug das wimmernde Kind zu seinem Schlafzimmer. Laura blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
13 .
Der Arzt aus Minehead ließ nicht lange auf sich warten. Er unte r suchte David gründlich und stellte fest, daß der kleine Junge sein u n freiwilliges Abenteuer verhältnismäßig gut übersta n den hatte.
"Ein, zwei Tage Bettruhe und David kann wieder herumtoben", meinte er. "Es besteht kein Grund zur Besorgnis. Natürlich könnte es sein, daß Ihr Sohn in der Nacht sehr unruhig schläft, Lady Thorburn. Am besten, jemand bleibt bei ihm."
"Ich werde bei ihm wachen", bot Laura an. Sie hielt die Hand des Kleinen.
"Da war ein Schwarzer Mann", erzählte David. "Er hat mich unter Wasser gedrückt."
"Was soll der Unsinn, David?" fragte Lady Ireen.
Jonathan Thorburn stürzte ins Zimmer. "Ich habe es gerade gehört", sagte er außer Atem. "Ist mit David alles in Ordnung?"
"Kein Grund, sich Sorgen zu machen", versicherte der Arzt erneut. Er tätschelte Davids Wange und wandte sich dann zum Gehen.
"Ich bringe Sie zum Wagen, Doktor Riley", bot Lady Ireen an. "Es gibt da noch einiges, was ich mit Ihnen gerne besprechen würde." Sie wandte sich Laura zu.
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