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Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
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Mund. Das Baby war noch am Leben.
    «Nein!», keuchte ich. Es konnte den Tod seiner Mutter doch nicht überlebt haben? Meine Beine wurden weich, und ich zog einen Stuhl heran, auf den ich plumpste, um meine Gedanken zu sortieren.
    Eine schreckliche Erinnerung drängte sich mir auf: wie das winzige Rehkitz aus dem toten Kadaver seiner Mutter auf den Boden der Speisekammer in Mawton gefallen war. Ich schaute erneut auf Carinnas Gesicht. Sie war steif und leblos wie eine der Marmorfiguren draußen auf der Terrasse. Erneut legte ich die Hand auf ihren Bauch. Er war noch nicht richtig kalt und fühlte sich nachgiebig an. Erneut lief ein Zittern über die weiche Haut und drückte sich nach außen. Wie ein kleiner Fuß.
    Ich redete mir ein, ich müsse jetzt schnell handeln. Nur ein Chirurg konnte besser mit einem Messer umgehen als ich. Meine Hand zitterte nur leicht, als ich ein sauberes Handtuch über ihren Schoß legte und mein silbernes Messer umfasste.
    «Gott vergib mir», betete ich. Mit den Fingerspitzen tastete ich sie ab. Wenn ich den Bauch mittig aufschlitzte, würde das vermutlich das Kind töten. Ich entschied außerdem, ihren Schoß zu verschonen. Also musste der Schnitt am unteren Ende der Bauchwölbung gesetzt werden. Ich versuchte, meinen abgehackten Atem zu beruhigen. In dem Moment hätte ich es als Erleichterung empfunden, wenn das Kind schon tot gewesen wäre, das gebe ich offen zu. Aber es lebte noch. Erneut bewegte es sich, es verlangte nach Luft und war wie ein Kätzchen im Sack, das man ertränken wollte, in ihrem Bauch gefangen.
    So behutsam wie möglich drückte ich die Messerspitze in ihre blasse Haut. Ich schnitt, und die Schneide glitt hindurch. Ein kleiner Blutschwall quoll hervor und behinderte meine Sicht. Ich wischte ihn beiseite und setzte das Messer erneut an. «Vater unser», murmelte ich und fuhr fort, einzelne Fetzen des Gebets aufzusagen. Der erste Schnitt war nicht tief genug. Damit richtete ich nur eine große, blutige Sauerei an. Mir wurde schwindelig, und fast hätte ich aufgegeben.
    «Es ist ganz normales Schlachterhandwerk», sagte ich mir. Dieses Mal befahl ich mir, tiefer zu schneiden. Ich schnitt durch eine Schicht weißes Fett und grub tiefer. Als Nächstes kam rotes Fleisch, aber dort fand ich nichts. Mein Mund war trocken, und die Kehle schnürte sich zusammen. Ich begann zu würgen und zu keuchen, als ich sah, was ich mit meinem blutigen Handwerk anrichtete. Jetzt strömte noch mehr Blut über meine Hände, und ich unterbrach meine Arbeit und wischte es mit dem durchnässten Tuch weg. Ich wollte mich hinsetzen und wieder zu Atem kommen, doch die Vorstellung, wie viel wertvolle Zeit dadurch verloren ginge, ließ mich weitermachen. Ich glaubte, mein Messer müsse jetzt schon ganz nah am Kind sein, und ich hatte schreckliche Angst, es zu töten. Ich nahm daher allen Mut zusammen, klappte die Bauchhaut meiner Herrin an der Schnittfläche hoch und schaute darunter.
    Etwas Dunkles, Mattes schimmerte zwischen dem roten Fleisch. Ich schob die Hand in die stinkende Wärme ihres Bauches und spürte etwas Rundes, und direkt darüber glitschig verfilztes Haar. Danach schnitt ich eifriger und scherte mich nicht mehr um das Blutbad, das ich verursachte. Ich wollte nur um alles in der Welt das gefangene Kind befreien. Ein zweites Mal griff ich in ihren Körper und packte den Schädel. Dann zog ich daran. In einem schlüpfrigen Gewirr glitt das Baby aus dem Spalt. Es sah grau und blutverschmiert aus und fiel auf die blutigen Laken. Die Augen waren geschlossen, doch die Gliedmaßen rührten sich vorsichtig. Hinter dem Baby führte die gekräuselte, graue Nabelschnur zurück in den Mutterleib. Mit einem Schnitt war das Baby frei. Jetzt musste es gewaschen werden, doch ich ließ es fast fallen, als ich es zur Waschschüssel trug. Ich murmelte Dankgebete, als ich es wusch, weil ich so froh war, dass es lebte.
    Sobald das Baby gesäubert war, nahm es eine bessere Farbe an. Es war ein kleines Mädchen, mit dunklen Haarbüscheln auf dem Kopf und einem winzigen, zerknautschten Gesicht. Ihr Schädel war allerdings auf einer Seite eingedrückt wie ein verwachsener Apfel, aber das kam vermutlich von der gescheiterten Geburt.
    Mein Herz schwoll an, weil sie lebte. Ich hob sie an meine Brust, und sie krähte ganz und gar lebendig. Allein ihren weichen Körper zu spüren munterte mich auf. Ihre kleinen Beinchen strampelten, und ihr unebenes Köpfchen wackelte unter meinen Lippen. Ich wickelte sie fest

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