Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
unverhohlen neugierig an, wie sie es immer getan hatten. Aber keiner sprach mich an, und sie steckten die Köpfe erst zusammen, nachdem ich an ihnen vorbei war.
Ich erinnerte mich an die Beschreibung des Conte und folgte dem Weg zur Spitze des Bergs. Allmählich tauchten vor mir der braune Turm und die Klostermauern auf. Die Sonne brannte durch den morgendlichen Wolkenschleier auf mich nieder, und ich verfluchte die Enge meines Mieders, die mich atemlos machte. Die Straße verlief in unbestimmten Linien, weshalb das Gebäude mal im Osten, mal im Norden zu liegen schien, bis es für immer außer Reichweite geriet. Aber schließlich, nachdem meine Füße viele Meilen auf der harten Straße zurückgelegt hatten, umrundete ich eine Kurve und stand vor einem schäbigen Torhaus.
Ich klopfte an die eisenbeschlagene Tür. Ein paar Minuten lang kam niemand. Weil das Baby nicht mehr von meinen Schritten sanft gewiegt wurde, begann es zu weinen. Sein Wehklagen und der Anblick des rosigen, nackten Gaumens taten mir bis ins Innerste weh. Ich klopfte erneut, und meine Wut wuchs. Gott verdamme diese Papisten, fluchte ich leise. Müssen sie denn ständig die Füße ihrer steinernen Marienfiguren küssen und die Perlen ihrer Rosenkränze zählen?
Dann quietschte das Gitter in der Tür, und ein misstrauisches Auge schaute zu mir nach draußen.
Ich erklärte in meinem besten Italienisch, dass ich gerne eine Familie für das Baby finden wollte, und ich würde gutes Geld für diesen Dienst zahlen. Ohne ein Wort des Grußes entriegelte eine missmutige Nonne die Tür, und ich folgte ihr nach drinnen. Wir standen in einem Innenhof, in dem das Unkraut durch das Pflaster wucherte und Ziegen sich um die Küchenabfälle balgten. Ich folgte ihrer humpelnden Gestalt in eine düstere Kammer, wo sie sich an einen Tisch setzte. Über uns hing ein Bild der Jungfrau Maria, deren Herz mit Schwertern gespickt war wie ein Nadelkissen.
Mit einem vernehmlichen Seufzer nahm die Nonne eine Kassette hoch und hielt sie mir hin, damit ich das Geld hineinwarf. Ich hatte silberne Lire dabei, doch nachdem ich diesen Ort gesehen hatte, verspürte ich wenig Neigung, ihr das Geld auszuhändigen.
«La bambina?»
, fragte ich und machte ihr mit Gesten klar, dass ich wissen wolle, wo das Baby untergebracht wurde, bis alles geregelt war. Die alte Nonne runzelte die Stirn und schüttelte die Schatulle direkt unter meiner Nase. Verflucht sollst du sein, alte Hexe, dachte ich.
«Dom la bambina?»
Ich suchte angestrengt nach dem richtigen Wort.
«Dorme?»
, wollte ich wissen.
Es war ein Kampf der Willensstärke, aber ich würde Lady Carinnas Kind nicht im Stich lassen, ohne vorher zu sehen, wo es in der kommenden Nacht schlafen würde. Was ich nach einem erbitterten Austausch von Gesten zu sehen bekam, war ziemlich dürftig. Die
bastardi
, wie die alte Nonne die Kinder nannte, wurden von einer Familie versorgt, die in einer trostlosen Bruchbude hauste. Statt Fenstern hatte sie nur schmale Schlitze in der Wand. Ein Baby lag im eigenen Dreck im Stroh. Die anderen Kinder waren dürr und zerlumpt. Eine geifernde Frau, die mit dem langen Stock in der Hand sicher keine Zärtlichkeiten verteilte, war für die Kinder verantwortlich. Ich drehte auf der Stelle um und verließ diesen infernalischen Ort. Nicht in tausend Jahren hätte ich das arme, kleine Mädchen in diesem Elend zurücklassen können.
Meine Wut trieb mich zurück ins Dorf. Das Baby schrie wieder, weil es zweifellos nach der Milch seiner Mutter hungerte. Ich fand den vertrauten Markt und fragte bei jedem Budenbesitzer. Inständig hoffte ich, jemand könne das Geld gebrauchen. Eine Stunde später fand ich Carla – eine dicke, verschüchterte Vierzehnjährige, deren Mutter sie verfluchte, obwohl das Mädchen das eigene vaterlose Baby verloren hatte. Die feuchten Flecke auf ihrem Hemd sagten mir alles, was ich wissen musste. Also bot ich ihrer Mutter die Hälfte des Geldes, das für das Kloster bestimmt gewesen war, und dem Mädchen versprach ich den Rest, falls ihre Milch gut war. Wir verabredeten, sie solle am nächsten Tag zur Abendessenszeit kommen, nachdem ein Priester ihr die Beichte abgenommen hatte. Dann kaufte ich noch einen Krug frische Kuhmilch.
Ich lief langsam die helle Straße zurück, schlug nach den Fliegen und versuchte, Evelina auf meiner Hüfte geradezurücken. Ich hatte den Namen nach einem der Bücher meiner Herrin gewählt, und ich fand ihn neumodisch und hübsch, ganz anders als die
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