Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
Ostindische Inseln, und deshalb vermöge keine Karte, all diese Inseln zu benennen. Fünftausend. Es war, als suchte man ein Zuckerkörnchen in einem Berg Salz. Jede Muskatnuss, die ich rieb, erinnerte mich an Kerafs Insel mit ihrem Überfluss, auf der reife Früchte nur vom Boden aufgehoben werden mussten, um sie zu essen. Wenn ich süße Gewürze mischte, fragte ich mich, wo mein Freund jetzt sein mochte, und ob er mit Bulan und seinem Sohn wieder vereint war. Ich stellte mir vor, wie er auf seinem
prahu
übers Meer segelte, wie er die Sonne genoss und Wale, Rochen und fliegende Fische jagte. Ich betete, dass es so war. Aus tiefstem Herzen betete ich für ihn.
Dann legte ich meine Aufzeichnungen beiseite und vergaß sie ein ganzes Jahr. Ich wurde ein zweites Mal gesegnet, und unser zweiter Sohn wurde auf den Namen Renzo getauft. Er hatte wuschelige Haare, die kupfrig schimmerten, und wurde mit einem Milchzahn geboren.
Dann traf ein Bekannter in Florenz ein, und ich erfuhr, dass meine Geschichte noch nicht zu Ende erzählt war. Ich hatte meine Version aus Bruchstücken und Rezepten zusammengesetzt. Aber wie ein paar Tropfen Zitronensaft in einer üppigen Soße fehlte auch hier noch der letzte, saure Beigeschmack.
XXXVIII Hotel Die Königin von England, Florenz
Advent bis Weihnachten 1777
Signora Bibiana Cellinis persönliche Aufzeichnungen
Borgo San Jacopo, Florenz
Hotel Die Königin von England
Signor & Signora Cellini wünschen
die Edlen und Adeligen sowie alle anderen
zu informieren, dass sie das Hotel
DIE KÖNIGIN VON ENGLAND
eröffnet haben.
Es besteht aus zwanzig wunderhübschen Salons, luftigen Schlafgemächern mit daran anschließenden Ankleidezimmern, zudem einem großen und sehr eleganten Restaurant nach der neusten Mode, in dem feine und köstliche Mahlzeiten nach italienischer, französischer und englischer Sitte gereicht werden und wo man zu jeder Stunde aus einer gedruckten Karte bestellen kann. Außerdem verkaufen oder vermieten wir jede erdenkliche Sorte Zuckerwerk und Eis für Bankette und elegante Feiern. Des Weiteren gibt es die besten Weine, ebenso Brandy, Rum, Branntwein. Wir sind entschlossen, unseren Gästen, den Reisenden wie allen anderen, die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken, und hoffen auf ihre Gunst und Unterstützung.
E s begann im letzten Jahr, als der Earl of Mulreay und seine Mätresse wieder einmal ihr Quartier bei uns nahmen. Der alte Kerl war gerade erst aus Spa hergereist, wo er eine Kur gemacht hatte. Seine Falten waren bleich überschminkt wie bei einer Leiche, und das altmodische Schönheitspflästerchen pappte auf der gepuderten Wange.
«Meine liebste Mrs. Cellini.» Seine Berührung war so trocken wie alte Papierchen zum Papillotieren der Locken. Er hob meine Hand an seine runzligen Lippen. Manchmal erinnerte er mich an den alten Conte Carlo, aber der Earl hätte niemals eine Natter gegessen und schon gar keine Austern außerhalb der Saison. Ich hatte gehört, Conte Carlo habe sich eine andere Erbin geschnappt. Armes Ding.
«Mylord, habt Ihr schon unser neues Menü gesehen?»
Während wir über jedes neue Gericht plauderten, bemerkte ich, wie die hübsche
avventuriera
an seiner Seite beifällig mein Kleid betrachtete. Es war gerade erst aus Paris gekommen – ein Kleid
à la polonaise
mit breiten blauen Streifen, bei dem der Rock wie bei einem Milchmädchen hochgesteckt wurde.
«Wir haben frischen Tiberstör. Oder einen weißen toskanischen Pfau? Oder Ihr nehmt etwas, das Euer Gaumen von zu Hause gewohnt ist. Ich habe Zierküchlein mit Quitten und Äpfeln, die frisch aus dem Ofen kommen.»
Sein Grinsen entblößte die karamellfarbenen Zahnstümpfe eines leidenschaftlichen Feinschmeckers. «Ein Zierküchlein?» Er klatschte sich auf das spindeldürre Bein in der Seidenhose und grinste wie ein Waisenjunge, den man mit etwas Süßem lockte. «Bringt uns, was Eurer Meinung nach das Beste ist, Mrs. Cellini. Und das Zierküchlein nehme ich mit … Senf, wenn Ihr habt.»
Ich stand halb versteckt hinter einer Marmorsäule und beobachtete das Mädchen, das die Teller des Earls abräumte, als ich ihn einen Namen sagen hörte, der mir sofort wie ein Knüppel alle Luft aus der Lunge trieb. Ohne darüber nachzudenken, huschte ich zum Tisch des Earls.
«Bitte vergebt mir, Mylord», sagte ich und lächelte ihn lieb an. «Aber der Name Tyrone ist mir gerade zu Ohren gekommen. Ich kenne den Mann. Tatsächlich schulde ich ihm einen Gefallen. Ich frage mich, ob es
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