Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
«Sir, wenn ich die Antwort darauf wüsste, wäre ich die Erste, die was draus machen würde.»
Er sprang hoch und klopfte mit dem Pfeifenkopf heftig gegen den Kamin, um die Asche zu entfernen. Dann richtete er sich auf und überragte mich drohend mit seiner hochgewachsenen Gestalt. Seine Miene war ziemlich hasserfüllt. Als wolle er mich lieber verrotten sehen, statt mir eine gute Nacht zu wünschen.
«Ich behalte dich im Auge, Biddy Leigh. Ihr Frauen glaubt immer, ihr könntet eure schmutzigen Geheimnisse vor uns verstecken. Aber deines werde ich schon bald ergründen.»
«Sir, es gibt nichts …»
«Halt deinen verdorbenen Mund, Mädchen. Und mach hier alles sauber, ehe du schlafen gehst.» Mit diesen Worten nahm er seine flackernde Kerze und marschierte grußlos in seine Schlafkammer.
Es dauerte ein paar Tage, bis der örtliche Schmied die Kutsche instandgesetzt hatte und wir wieder unterwegs waren. Mr. Loveday war aufgewühlt und sein Mantel immer noch verdreckt. Aber niemand außer mir scherte sich einen Deut darum. Und was mich anging, so konnte ich nicht vergessen, dass Mr. Pars gesagt hatte, er behalte mich im Auge.
Ich versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen, als wir das nächste Quartier nahmen, wo ich einigen Müll zusammensuchte, der in einen Korb geworfen worden war. Sobald ich auf der stillen Hintertreppe allein war, durchsuchte ich aus Gewohnheit den Abfall, weil ich hoffte, ein paar Bögen gutes Papier mit unbenutzter Rückseite zu finden. Zwischen den Seiten fand ich auch ein Blatt Löschpapier, das ich ebenfalls einsteckte.
An jenem Abend holte ich die Papiere noch mal hervor, um die Qualität zu prüfen. Das Löschblatt weckte mein Interesse, denn darauf stand immer wieder etwas in Spiegelschrift. Worte, die mir vertraut vorkamen, obwohl ich die altmodischen Schwünge nicht entziffern konnte. Dann erinnerte ich mich wieder an den Spiegel, der neben der Treppe hing. Also nahm ich meine Kerze und schlich ganz leise zurück auf den Treppenabsatz, wo das Glas schon bald meine bleiche Gestalt einfing, die näher kam.
Langsam hob ich die Kerze und sah mein Gesicht, das in den Spiegel schaute. Meine Augen funkelten und blickten mich fragend an. Dann hielt ich das Löschblatt vor die Spiegelfläche. Jetzt konnte ich es richtig herum lesen. Darauf stand wieder und wieder, als habe jemand eifrig geübt:
Sir Geoffrey Venables, Baronet …
Ich hörte auf den Stufen hinter mir ein verräterisches Knarzen.
«Biddy Leigh. Was hast du hier zu suchen?»
Himmel! Beinahe hätte ich die Kerze fallen lassen, die dann meinen Rock entzündet hätte. Im Spiegel sah ich Mr. Pars persönlich, der auf dem Absatz aufgetaucht war. «Ich wollt nur Dreck aus meinem Gesicht putzen, Sir», sagte ich geschwind und wischte mit der Ecke des Löschblatts über meine Wange. «Ich hab keinen Spiegel, Sir.»
Inzwischen stand er neben mir, und ich wandte mich halb ab. Die ganze Zeit betete ich, er möge das Papier nicht sehen, das ich in der geballten Faust hielt. «Spiegel? Eine Küchenmagd braucht doch keinen Spiegel, Mädel. Gib mir Feuer. Bei dem Luftzug ist meine Kerze ausgegangen.»
Also musste ich das Löschblatt falten und die Spitze in meine Kerzenflamme halten. Sir Geoffreys Name flackerte vor meinen Augen so deutlich auf, dass ich glaubte, Mr. Pars müsse mich fragen, woher ich das Blatt hatte. Aber er nahm es nur und schenkte den Schriftzügen keine Beachtung. Ich knickste tief und wünschte ihm eine gute Nacht. Er ging zurück in seine Kammer, und das Papier brannte schnell herunter. Er hatte mir einen mächtigen Schreck eingejagt. Aber wer übte sich darin, Sir Geoffreys Namen zu schreiben?
Am nächsten Tag, während die Kutsche über die Straße rollte und Jesmire und meine Herrin wieder dösten, lauschte ich dem Tap-tap-tap des heftigen Regens, der auf das Dach prasselte. Dann erinnerte ich mich wieder an eine alte Lektion der Witwe Trotter.
Sünde ist, die Nadel zu stehlen,
erst recht, was Größeres zu nehmen.
Besser ist’s, im Elend zu harren
und um Brot an Fremder Tür zu scharren.
Es sollte besser sein, im Elend zu verbleiben? Schon mit zehn Jahren war mir klar, dass das nicht stimmte. Als Witwe Trotter mich meiner Aufgabe überließ, streichelte ich immer ihre makellosen Tischdecken und spielte mit den schönsten Silberlöffeln. Ich nannte sie meine hübschen Damen und bewunderte die geschwungenen, silbernen Stiele. Sie waren die Haare, und die Löffelkuhlen waren runde
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