Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
nichts von der berühmten Küste Frankreichs zu sehen war. Dann stieß Mr. Loveday mich in die Seite und zeigte auf zwei Gestalten, die am anderen Ende des Strands gegen den Wind ankämpften. Ich kniff die Augen zusammen und erkannte die beiden – höchstwahrscheinlich Mr. Pars und meine Herrin. Die Vorstellung, wie die beiden zusammen spazieren gingen, fand ich ja schon merkwürdig genug. Aber sie schienen sich außerdem zu streiten wie Katze und Hund. Die Lady hob voller Wut die Arme mit dem flatternden Mantel. Alle paar Schritte schüttelte der Mann den Kopf und blieb stehen, um etwas zu sagen, das wir natürlich nicht verstanden. Nach einigen Minuten drehte er sich einfach um und stapfte davon. Die Frau stand allein am Strand und sah auf das graue Wasser, das nach ihrem Kleid griff. Wir waren zu weit weg, um sicher zu sein, aber ich hätte wetten können, dass es meine Lady war, die dort stand, denn ihr grauer Mantel hatte dieselbe Farbe. Sie hatte allerdings die Kapuze auf und verdeckte damit ihr Gesicht.
«Wenn das die beiden waren, wieso kommen sie hierher und reden nicht gemütlich am Feuer in der Stube miteinander?», fragte ich Mr. Loveday, während wir zurück zum Gasthaus liefen.
Mein Freund schlang seinen dünnen Mantel über die Ellbogen und zog den Kopf zwischen die Schultern. Er sagte etwas, das ich nicht auf Anhieb verstand.
«Was?»
«… der Wind, zu schwer verstehen …»
Ich folgte seiner geduckten Gestalt und dachte nicht weiter darüber nach.
Mr. Pars beabsichtigte, in Dover eine Unterkunft zu finden und dort die Passage direkt auf einem Paketboot nach Frankreich zu buchen. Aber jedes Gasthaus, in das wir kamen, war zum Bersten mit Reisenden gefüllt, die allesamt warteten, bis der Wind drehte und die Boote endlich abfahren konnten. Um die Sache noch schlimmer zu machen, waren es nur noch zwei Tage bis Weihnachten. Ich musste zum Zuckerbäcker und die geeisten Köstlichkeiten, die Raunachtsküchlein, kandierte Früchte und derlei besorgen.
Jedes Mal, wenn Mr. Pars von seinen Erkundigungen zurückkam, zog er ein langes Gesicht und schüttelte den Kopf. Im York Hotel nahmen wir unser Abendessen ein, ohne zu wissen, wo wir diese Nacht schlafen würden. Das Hotel war laut und marode, und der stürmische Wind fauchte mit einem lauten Stöhnen durch die Fensterläden. Unsere Reisegesellschaft befand sich in der guten Stube unterm Dach, während Loveday und ich in einem Raum im Erdgeschoss Rachenputzerbier tranken. Ich war es leid, durch die Weltgeschichte zu latschen, und sehnte mich nach dem guten alten Mawton und einer Tasse Tee, bei der ich die Füße auf das Kamingitter legte.
Es war schließlich der alte Pars, der uns rettete, denn er machte die Bekanntschaft eines gewissen Mr. Harbird, einem Gentleman aus der Stadt. Er bot meiner Herrin in seinem Haus ein Dach über dem Kopf, bis die Boote fahren konnten. Also folgten wir kurz vor Mitternacht Mr. Harbirds Stallburschen über die pechschwarze Straße. Jeder Einzelne gähnte laut und pries zugleich den Gentleman für seine christliche Seele.
Am nächsten Morgen wachten wir also in Waldershore House auf, einem großen, grauen Steinhaus mit Giebeldächern und Korkenzieherschornsteinen. Hier gab es keine neumodischen Weißstickereien, nur alte Eichenholzpaneele und fadenscheinige Wandteppiche an den Wänden, die die Kälte abhalten sollten. Mr. Loveday erzählte mir, Lady Carinna fände diese alte Ruine, wie sie es nannte, grausig. Ich hingegen fand, es sei eine deutliche Verbesserung, verglichen mit den heruntergekommenen Gasthöfen.
Dann verkündete Mr. Harbird zu meiner Freude, ich solle bei der Zubereitung des Weihnachtsessens helfen, denn es fehle an geschickten Händen. Fünfzig Personen waren geladen – das war die größte Gesellschaft, für die ich je gekocht hatte. Mich konnte keiner aufhalten. Ach, wenn Mrs. Garland hätte dort sein können – wir wären beide glücklich gewesen wie zwei singende Lerchen.
Die Küche in Waldershore hatte eine Feuerstelle, die groß genug war, um darin spazieren zu gehen. Davor waren drei Bratenspieße an der Decke befestigt. In der Küche herrschte großer Betrieb, denn ein Dutzend Frauen und Kinder schufteten hier – einige alte Weiber, ein paar junge Mädel, die viel kicherten und albern das Gesicht verzogen. Meine Knie zitterten unter meinen Röcken, als ich ihnen sagte, wer ich sei. Ich versuchte, verständlich zu sprechen, weil mein nördlicher Akzent sie
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