Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)

Titel: Das Schatzbuch der Köchin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martine Bailey
Vom Netzwerk:
Gesicht meiner Herrin ansah, entdeckte ich die edlen Züge seines Gesichts darin.
    «Was um alles in der Welt starrst du mich schon wieder an, Mädel?», schnappte meine Herrin und brach damit brutal in meinen Tagtraum ein, den die verdorbene Eliza Haywood nicht besser hätte ersinnen können.
    «Nur so, Melady.»
    «Ach so. Wenn du mich schon ansprichst, Biddy, solltest du ‹Mylady› auch richtig aussprechen.»
    Ich gab mir große Mühe, meine Lippen so zu formen, dass es richtig klang, aber es fühlte sich an, als versuchte man eine Schweinsblase über ein Vorratsglas zu stülpen.
    «Moylady.»
    «Bist du sicher, dass du lesen kannst?»
    «Ja, ’türlich kann ich das», sagte ich und reckte trotzig das Kinn. Dann fiel mir wieder ein, was ich vergessen hatte. «Melady.»
    «Hrmpf. Eine Lügnerin bist du auch noch», murmelte Jesmire.
    Meine Herrin kramte neben sich auf dem Polster herum, dann drückte sie mir auf einmal ein Stück Papier in die Hand. «Also los. Lies das vor.»
    «Ein Hut, ein Mantel, ein Schuh», las ich sorgfältig. «Derlei sollte nur von einem hohen Herrn getragen werden, und zwar sollte er es bei einem kaufen, der die Mode diktiert …» Ich schaute auf, und die Herrin bedeutete mir mit einem Wink fortzufahren. «So tut es jeder, vom Schatzkanzler bis zum Lehrjungen kauft jeder in Houndsditch.»
    Sie lachten nicht über mich, denn ich hatte mich gut angestellt. Meine Herrin entriss mir das Papier. «Und wieso kannst du so schön lesen? Das war doch recht anständig.»
    Darüber musste ich erst nachdenken. Ich wollte nicht irgendwas daherreden, wie die Witwe Trotter mir geholfen habe, ihre eigene feine Sprache zu imitieren. Sie hatte immer gesagt, ich sei ein Naturtalent. «Das sind nicht meine eigenen Worte, Melady. Wenn ich etwas von einem Papier ablese, kann ich es wie eine Schulmeisterin sagen, und es klingt sehr anständig.»
    Lady Carinna lehnte sich wieder zurück. Zwischen ihren Augenbrauen erschien eine Furche. «Wenn ich dir also aufschreibe, was du sagen sollst wie bei einem Theaterstück – dann kannst du es richtig aussprechen?»
    «Das will ich meinen, Melady.»
    So verging die nächste Stunde mit einer Art Spiel, bei dem für mich unterschiedliche Sätze auf die Rückseite eines alten Almanachs geschrieben wurden. Und ich sprach jeden richtig aus. Das war kein schlechter Zeitvertreib, denn ich überraschte die beiden mit meiner raschen Auffassungsgabe. Als draußen das Licht langsam wich, erklärte ich in einem perfekten Londoner Akzent: «Werte Damen und Herren. Das Dinner wird im Salon serviert.»
    Jesmire war gewaltig angefressen, weil ich so wunderbar lesen konnte. Doch dann erkannte ich, was mit ihr los war. Bestimmt fürchtete sie, meine Herrin unterrichte mich, um sie später zu ersetzen. Als würde ich irgendwann die herrliche Arbeit in der Küche für ein Leben mit Haarnadeln und Stopfnadeln aufgeben! Die ganze Zeit also, während die alte Ziege in die Seiten ihrer Londoner Zeitung knurrte, frohlockte ich, weil meine Herrin mit allem, was ich tat, sehr einverstanden war. Ich fragte mich die ganze Zeit kein einziges Mal, ob ich vielleicht besser dran wäre, wenn ich ihr aus dem Weg ging.
     
    Als Nächstes fingen wir uns alle einen üblen Schnupfen ein, und in den folgenden Tagen niesten und schnauften wir unseres Weges Richtung Dover. Man hätte eigentlich meinen sollen, dass meine Lady daran sterben müsste, so sehr beklagte sie sich über jedes einzelne Schlagloch, durch das die Kutsche polterte und ihre Kopfschmerzen noch verstärkte. Mr. Pars war auch ausnehmend schlechter Laune und schimpfte auf die Gastwirte, die schrecklich hohe Preise von jenen verlangten, die nun mal keinen anderen Weg zu den Häfen im Süden nehmen konnten. Kurz vor Dover machten wir wieder in einem Gasthof halt, und ich schnappte das Rezept für einen köstlichen, gebratenen Fisch auf, der Stint hieß. Außerdem wurden Heringe serviert, bei denen die Schwänze im Maul steckten. Danach gingen Mr. Loveday und ich noch mal nach draußen, weil wir das Meer sehen wollten. Der Wind wehte so stark, dass er mir durch die Zähne pfiff. Das Meer war einfach nur entsetzlich; eine riesige Fläche aus Wasser, das ohne Unterlass wie ein Topf mit kochendem Wasser wogte. Wenigstens hatte sich meine Erkältung inzwischen so weit gebessert, dass ich das Salz des Meeres auf der Zunge schmeckte. Es hatte ein ganz eigenes, salziges Aroma wie von Pflanzen.
    Wir starrten auf den düsteren Horizont, wo leider

Weitere Kostenlose Bücher