Das Schatzbuch der Köchin (German Edition)
Lederstiefel. Aber wohin war meine Herrin ganz allein gegangen? Ich brachte Bengo zurück in die Kammer unters Dach, nahm meinen Mantel und machte mich auf die Suche nach ihr.
Die Sonne war inzwischen fast untergegangen, und die Schatten hoben sich lang und violett von der weißen Schneedecke ab. Was zum Teufel trieb meine Herrin hier draußen? Ich kannte nur den ausgetretenen Pfad zum Dorf und nicht diesen einsamen Weg, den sie eingeschlagen hatte. Schon bald fand ich mich auf einem schmalen Steig an einem Fluss wieder, und das Eis an den Zweigen der Büsche zog sie schwer nach unten. Ich machte mir keine Sorgen, weil ich so allein unterwegs war, aber ich überlegte, ob ich nicht Mr. Loveday hätte mitnehmen oder sogar Mr. Pars wecken sollen. Doch die ganze Zeit trieben mich ihre Fußspuren weiter, denn sie sahen noch ganz frisch aus, als würde hinter der nächsten Biegung schon meine Herrin auf mich warten. Inzwischen war ich von der Kälte ganz durchdrungen, und besonders meine Finger waren krebsrot. Wenn sie einfach nur einen Ausflug machen wollte, was kümmerte es mich dann, wenn ihr etwas passierte? Doch ich konnte ihren Zustand nicht vergessen, und meine Sorge galt vor allem dem Ungeborenen. Sie brauchte nur im Schnee auszurutschen, und dann könnte ich es mir nie vergeben, nicht zur Stelle gewesen zu sein. Dann begann plötzlich mit aufkommendem Wind neuer Schnee zu fallen, der mir scharf ins Gesicht geblasen wurde. Wie ein Schwarm weißer Bienen wirbelten die Flocken um mich auf, sie waren wie lebendige Wesen, die mich so dicht umhüllten, dass ich kaum mehr den Weg vor den Augen sehen konnte. Ich schrie auf, als mein Fuß seitlich wegrutschte, und ich taumelte, bis ich mich irgendwie an der Böschung festklammern konnte. Mein Herz hämmerte, ich hielt mich an einem überfrorenen Baumstumpf fest und versuchte, den Schnee aus den Augen zu blinzeln.
Der Weg vor mir endete an einer Klippe. Der beängstigende Felsvorsprung fiel steil nach unten bis zum Tal ab. Und dort stand meine Herrin, nur wenige Schritte von mir entfernt, so starr wie eine Statue und ließ sich einschneien.
«Mylady.» Der Wind riss mir die Worte aus dem Mund. Ich schlitterte ein paar Schritte auf sie zu und streckte ihr meine Hand hin. «Ich bin hier, Mylady.»
Ihr Gesicht war nass, doch ich wusste nicht zu sagen, ob das von den Tränen oder vom Schnee kam. Dann dämmerte es mir schlagartig – sie war zu diesem gottverlassenen Ort gekommen, weil sie sich das Leben nehmen wollte! Eine Windbö wehte den Schnee vor ihren Schuhen fort, und ich konnte für einen kurzen Moment den Abgrund vor ihren Füßen sehen, der so tief war, dass die Bäume am Grund wie winzige Moosflechten aussahen und die Straße kaum breiter als ein Bindfaden schien. Mein Herz hämmerte. Ich schob mich langsam näher.
«Ich habe gute Neuigkeiten!», rief ich. «Wir reisen morgen ab. Ich hab gehört, wie darüber geredet wurde. Der Kutscher wollte nur wegen der Hochzeit bleiben.»
Ich machte noch einen Schritt auf sie zu und packte ihre Hand. Sie war eiskalt, aber ich spürte, wie sie geschwächt meine Finger umklammerte. Ich rieb ihre Hand und zog meine Herrin dann zu mir, weg von dem Abgrund.
«Wir werden schon bald in Italien sein. Nur noch wenige Tage», brüllte ich. «Bald wird alles wieder gut.»
Der Wind zerrte an ihren Haaren, und die Verschlussbänder ihres Mantels flatterten wie vorschnellende Schlangen. Langsam kehrte Leben in ihr Gesicht zurück. Mit einem Nicken wandte sie sich mir zu und ließ sich langsam zurückführen.
Als wir eine geschützte Böschung erreichten, erklärte sie mit tonloser Stimme: «Ich fürchte mich so sehr.» Ich wusste, wie sehr Frauen während der gefährlichen Zeit einer Schwangerschaft unter Angst litten, und darum schob ich es erst mal darauf. Sie machte auf mich auch nicht den Eindruck, besonders mutig zu sein. Sie wirkte aufgequollen, und in ihrer Brust rasselte es, wenn sie lief. Meine eigene Ma hatte kaum gejammert, als sie ihre Kinder gebar, und bis eine Stunde vor den Wehen hatte sie Kohlen gesammelt. Meine Herrin war weitaus empfindlicher. Sie war sehr zart, wie man so schön sagte, als könnte sie sich die Finger in einem Topf mit Quark brechen. Ich vermutete, dass nicht nur die Angst sie so unruhig machte, sondern auch die Tatsache, dass sie außer uns niemanden hatte, der ihr Gesellschaft leistete.
Wir erreichten das Wirtshaus, doch sie wollte mir nicht nach drinnen folgen. Im Windschatten der Wand
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