Das Schicksal der Paladine - Gejagt (German Edition)
Händewaschen betrachtete er sein Gesicht im Spiegel und erschrak. Er wirkte nicht nur ungepflegt, mit langen Bartstoppeln und wirrer Frisur, vor allem sah er krank aus. Seine Augen waren eingesunken und dunkel umrandet, die Wangen sogar ein wenig eingefallen, tiefe Falten furchten seine Stirn. Bei dem Anblick spürte er die Erschöpfung, die der hohe Adrenalinspiegel bislang in den Hintergrund gedrängt hatte, und fühlte sich mit einem Mal wackelig auf den Beinen. Hastig riss er sich von seinem Spiegelbild los, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser und ging zurück zum Krankenzimmer.
Dort musste er noch fünfzehn Minuten warten, bis Katharina endlich eintraf – ihm kam es wie eine Stunde vor, während derer er wie ein Tiger im Käfig am Fenster auf und ab taperte. Als sie eintrat, wartete er nur einen kurzen Moment ab, bis sie einen Blick auf die schlafende Svenja geworfen hatte. Sie sah ein wenig enttäuscht aus.
»Sie war wach, du hast es ja gehört. Morgen wirst du sicher richtig mit ihr sprechen können.« Er fasste sie sanft am Arm. »Aber ich muss jetzt los.«
Sie blickte ihm forschend ins Gesicht und las offenbar die Sorgen darin, denn ihre Augen weiteten sich. »Was ist mit Tristan? Ist er nicht im Büro?«
Darius schüttelte den Kopf. »Nein, offenbar nicht. Ich muss hin und mir die Nachricht ansehen, die er hinterlassen hat. Dann weiß ich sicher mehr.« Er versuchte beruhigend zu klingen, aber in seinen Ohren wirkte seine Stimme zittrig.
»Musst du zurück nach ...?« Sie sprach es nicht aus.
»Wahrscheinlich, ich rufe dich dann an. Pass du auf Svenja auf, ich hoffe, ich bin bald zurück.«
Er wandte sich zur Tür und biss sich auf die Unterlippe. Eine glatte Lüge. Egal was mit Tristan war, er, Darius, würde sicher eine längere Zeit in Nuareth bleiben.
Katharina eilte ihm nach und hielt ihn am Arm fest. »Bring ihn gesund zurück«, sagte sie leise, und auch wenn in ihren Augen ein flehender Ausdruck lag, klang es doch beinahe wie eine Drohung.
Zum Glück hatte Darius nicht lang auf ein Taxi warten müssen und stürzte schon um Viertel nach drei aus dem Aufzug des Büroturms. Er nestelte hektisch an seinem Schlüsselbund und brauchte länger als nötig, um den richtigen zu finden, nur um dann festzustellen, dass die Tür nicht verschlossen war. Er schaltete das Licht im Flur an und wollte gerade nach Tristan rufen, als er einen der Klebezettel am Türrahmen des Sekretariats entdeckte.
Smurk tot, Nephara gefallen, bin bei Vanamiri, beeil dich.
»Großer Gott«, entfuhr es ihm. Smurk tot? Und wenn Nephara gefallen war, was war dann mit Johann? Darius erahnte nun, warum Tristan nicht hier geblieben war. Wenn die Nekromanten das Amulett im Vulkan hatten aufspüren können, würden sie es auch anderswo finden, und am besten konnte Tristan es verteidigen, der mit dem Amulett um den Hals beinahe unbesiegbar war.
Dennoch, die Adepten hatten die Pfeile und Tristan war unerfahren, Darius durfte keine Zeit verlieren. Im Ankleidezimmer nahm er die erstbesten Kleider, schnappte sich den Schwertgürtel und seine Stiefel, die er nach seiner Rückkehr nur auf den Boden geworfen hatte, und rannte zur Kammer weiter. Das Amulett lag auf dem Fußboden.
Darius pikste sich hastig in den Finger, schmierte sein Blut auf das Amulett, und während er wartete, dass das Portal sich öffnete, knöpfte er das Hemd zu, das er sich ausgesucht hatte. Als er beim obersten Knopf angelangt war, wurde ihm klar, dass es zu lange dauerte, bis das Portal sich auftat.
Verwirrt starrte er auf das Portlet. Wie oft hatte er es schon benutzt? Fünfzig Mal, einhundert Mal? Konnte es sein, dass er diesmal etwas falsch gemacht hatte? Er hob es auf und spürte es vibrieren, so wie normalerweise, kurz bevor das Portal sich öffnete. Noch während er es hielt, wurde die Vibration schwächer und schließlich lag das Amulett ruhig in seiner Hand.
Darius griff nochmals zur Nadel, wiederholte das Prozedere und die Vibration nahm wieder zu, wurde so heftig, dass ihm das Portlet beinahe aus der Hand fiel. Doch sonst geschah nichts, kein Portal öffnete sich.
Verzweifelte Wut loderte in Darius auf. Ausgerechnet jetzt musste das Portlet versagen, wo sein Sohn und ganz Nasgareth in Gefahr waren. Am liebsten hätte er es in die Ecke gefeuert, beherrschte sich aber im letzten Moment und legte es zurück auf den Boden. Stattdessen bekam eines der Regale einen Tritt ab, und er warf den Waffengurt und die Hose, die er hatte anziehen wollen,
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