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Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition)

Titel: Das Schicksal ist ein mieser Verräter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green
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ungefähr neunzehn Tote«, sagte er. Der Abspann lief immer noch. Wahrscheinlich dauerte es lange, alle Leichen mit Namen zu nennen. Mein Kopf lag immer noch an seiner Schulter. »Ich hab mich vor ein paar Jahren mal damit beschäftigt«, fuhr Augustus fort. »Ich hatte mich gefragt, ob man sich an jeden erinnern können würde. Also, wenn wir mit der richtigen Organisation jedem Lebenden ein paar Tote zuweisen würden, ob es genug Lebende gebe, um sich an jeden Toten zu erinnern.«
    »Und, gibt es genug?«
    »Klar, jeder könnte sich an neunzehn Tote erinnern. Aber wir sind eben unorganisierte Hinterbliebene, und deshalb erinnern sich viele Leute an Shakespeare, aber es erinnert sich keiner an die Person, der das fünfundfünfzigste Sonett gewidmet war.«
    »Stimmt«, sagte ich.
    Eine Minute war es still, und dann fragte er: »Wollen wir lesen oder so?«, und ich sagte Ja. Ich las gerade das epische Gedicht » Howl« von Allen Ginsberg fürs College, und Gus las zum zweiten Mal Ein herrschaftliches Leiden.
    Nach einer Weile fragte er: »Ist es gut?«
    »Das Gedicht?«
    »Ja.«
    »Ja, es ist toll. Der Held des Gedichts nimmt noch mehr Medikamente als ich. Wie ist Ein herrschaftliches Leiden ?«
    »Immer noch perfekt«, sagte er. »Lies mir vor.«
    »Na ja, es ist kein Gedicht, das man gern laut liest, wenn man neben seiner schlafenden Mutter sitzt. Es kommen Analsex und Angel Dust drin vor«, sagte ich.
    »Zwei meiner Lieblingsbeschäftigungen«, bemerkte er. »Na gut, dann lies mir ein anderes vor.«
    »Hm«, sagte ich. »Was, wenn ich kein anderes habe?«
    »Sehr schade. Ich hätte große Lust auf eine Gedichtlesung.«
    »Komm, wir gehen, du und ich«, fing ich nervös an, »wenn der Abend ausgestreckt am Himmelsstrich wie ein Kranker äthertaub auf einem Tisch.«
    »Langsamer«, sagte er.
    Ich war verlegen, wie beim ersten Mal, als ich ihm von Ein herrschaftliches Leiden erzählt hatte. »Na gut. Okay. Komm, wir gehen durch halbentleerte Straßen fort, / Den dumpfen Zufluchtsort / Ruhlos-verworfner Nächte in Kaschemmen / Und Sägemehl-Restaurants zum Austern-Schlemmen: / Straßen, die dich wie ein langatmiges Argument, / Das Tücke kennt, / Zu einer überwältigenden Frage führen …«
    »Ich liebe dich«, sagte er leise.
    »Augustus«, sagte ich.
    »Es stimmt«, sagte er. Er starrte mich an, und ich sah, wie sich die Winkel seiner Augen kräuselten. »Ich liebe dich, und es gehört nicht zu meiner Geschäftspolitik, mir einfache Freuden wie das Aussprechen von Wahrheiten zu versagen. Ich liebe dich, und ich weiß, dass Liebe nichts als ein Ruf in die Wüste ist und dass das Vergessen unvermeidbar ist und dass wir alle Verdammte sind und dass ein Tag kommt, wenn all unsere Werke zu Staub zerfallen, eine Zeit, wenn sich niemand daran erinnert, dass es einst Kreaturen gab, die in selbst gebauten Maschinen geflogen sind, und ich weiß, dass die Sonne die einzige Erde, die wir je haben, irgendwann verschlucken wird, und ich liebe dich.«
    »Augustus«, sagte ich wieder, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Es fühlte sich an, als würde alles in mir ansteigen, als würde ich in dieser seltsamen schmerzhaften Freude ertrinken, aber ich konnte es nicht zurücksagen. Ich konnte überhaupt nichts zurücksagen. Ich sah ihn einfach nur an und ließ ihn mich ansehen, bis er nickte, die Lippen geschürzt, und sich abwandte, den Kopf ans Fenster lehnend.

KAPITEL ELF
     
    Ich schätze, er muss eingeschlafen sein. Irgendwann schlief ich auch ein und wachte erst wieder auf, als das Fahrwerk ausgefahren wurde. Ich hatte einen ekligen Geschmack im Mund, und ich versuchte den Mund zuzulassen, um nicht das ganze Flugzeug zu vergasen.
    Ich sah zu Augustus, der aus dem Fenster blickte, und als wir in die tief hängenden Wolken eintauchten, streckte ich mich, um die Niederlande zu sehen. Es sah aus, als wäre das Land im Meer versunken, kleine grüne Rechtecke, auf allen Seiten von Kanälen umgeben. Wir landeten sogar parallel zu einem Kanal, als gäbe es zwei Landebahnen: eine für uns und eine für Wasservögel.
    Als wir unser Gepäck geholt und den Zoll hinter uns hatten, quetschten wir uns in ein Taxi. Der Taxifahrer war ein teigiger Glatzkopf, der perfekt Englisch sprach, wahrscheinlich besseres Englisch als ich.
    »Hotel Filosoof?«, sagte ich.
    Und er sagte: »Sind Sie Amerikaner?«
    »Ja«, antwortete meine Mutter. »Wir kommen aus Indiana .«
    »Indiana«, sagte er. »Sie haben den Indianern das Land genommen

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