Das Schiff aus Stein
nicht hin! Das gibt Scherben.«
Oliver grinste und warf die Gläser zur Antwort nacheinander in die Luft. Sie schwirrten um seinen Kopf wie junge Schwalben. Aber keines von ihnen fiel herunter. Der stumme Lehrling fing sie mit raschen und sicheren Bewegungen auf und warf sie dann sogleich wieder in die Höhe, sodass sich die Gläser in der Luft drehten und funkelten.
Filine lachte. »Du bist ja ein Jongleur!«
Oliver fing die Gläser nacheinander auf und verbeugte sich. Dann sprang er leichtfüßig vom Seil ab und zeigte umher.
No, Filine, Rufus, Anselm und Bent sahen ihn immer noch verständnislos an. Oliver verzog spöttisch das Gesicht. Er trat an einen der Wandteppiche und deutete darauf.
Auf dem Teppich waren Menschen zu sehen, die an Seilen turnten, Pyramiden bildeten oder auf mehreren übereinanderstehenden Hockern mit Bällen und Kegeln jonglierten.
»Das sind alte Zirkusszenen!«, rief Filine.
Oliver hob eine Hand und schüttelte den Kopf. Dann schrieb er auf seinen Block: Das ist asiatische Akrobatik! Die hundert Spiele. Das Schwalbenspiel, der Löwentanz.
Er zeigte auf einen großen und einen kleineren Löwen auf dem Bildteppich, bei denen es sich offenbar um Menschen in Kostümen handelte. Dann schrieb er auf seinen Block: In diesem Haus hat viele Jahre Meister Otomo gewohnt. Ich habe seine Bücher in der Bibliothek gefunden und bin dann hergekommen. Sein Fachgebiet ist antikes Theaterspiel gewesen. Amphitheater, Gladiatorenkämpfe, asiatische Akrobatik und europäische Zirkuskunst.
»Und hier sollen wir wohnen?« Anselm sah sich um. »Wir sind doch nicht zum Turnen hier. Wo sollen wir denn schlafen?«
Oliver lächelte und schrieb: Ich werde hier auf den dicken Teppichen schlafen. Das habe ich schon oft. Das hier ist mein Lieblingszimmer. Er ging zu einem Tisch, auf dem einige Kerzenständer standen. Rasch zündete er mit den bereitliegenden Streichhölzern mehrere Kerzen an und reichte jedem Lehrling eine.
Im Lichtschein wurde ein hoher Stapel kostbarer Teppiche sichtbar, der in einer Ecke lag. Oliver winkte den anderen und verließ das Zimmer.
In den nächsten Minuten stellte die Flutgruppe fest, dass es in Meister Otomos Haus mehr als genug Zimmer für sie alle gab. Direkt neben dem Akrobatenzimmer, wie Rufus es innerlich getauft hatte, folgte eine Art Verlies, das aussah, als hätten hier gerade noch mehrere Gladiatoren auf ihren Auftritt gewartet. Auf einem einfachen Holztisch und auf Bänken lagen verschiedene Waffen und Ausrüstungsgegenstände der Kämpfer.
Bent, Anselm und No nahmen die Schwerter, Netze, Helme und Rüstungsteile sofort genauer in Augenschein.
»Ja, das wirkt wirklich wie ein richtiges Jungenzimmer!« Filine stieß die Schlagläden auf und kniff im einfallenden Licht die Augen zusammen. »Ihr möchtet bestimmt gerne auf dem harten Boden schlafen und eure Köpfe auf eine Metallrüstung betten! So was beschert euch Waffennarren sicher besonders süße Träume.«
»Na, hör mal«, beschwerte sich No. »Ich will hier natürlich nicht schlafen, aber das Zeug hier ist doch der absolute Hammer!«
»Ich suche jedenfalls lieber weiter.«
Filine durchstreifte das Haus und Rufus folgte ihr.
Als Anselm und Bent begannen, das darüberliegende Stockwerk zu erkunden, schloss sich No wieder Filine und Rufus an. Zu dritt entdeckten sie einen Raum, der ihnen als Flutquartier geeignet erschien.
Es war ein altes Arbeitszimmer mit einem riesigen Schreibtisch, an dem sie alle drei bequem lesen und schreiben konnten. An den mit Tuschezeichnungen geschmückten Wänden standen einige Regale aus dunkelrotem Holz voller Bücher und Papierrollen mit asiatischen Schriftzeichen.
Außerdem gab es drei merkwürdige rot lackierte Möbelstücke.
»Was ist das denn?«, wollte No wissen.
»Da drin werden wir schlafen«, erklärte Filine.
»In Schränken?« No umrundete einen der hohen Kästen, der an drei Seiten geschlossen war und von vorne wie eine mit goldenen Schnitzereien verzierte riesige Puppenbühne aussah, in die man hineinsteigen konnte.
Filine kicherte. »Das ist ein chinesisches Bett! Ein Bett war im alten China nämlich viel mehr als nur ein Möbelstück. Wie du sehen kannst, ist es ein eigener Raum mit Wänden. Und es war außerdem der Mittelpunkt im Leben der Hausherrin.«
»Der Herrin, das war ja klar!«, brummte No.
Rufus lachte auf. »Jedenfalls ist so ein Ding wirklich mal ein echtes Wohnmöbel. Das ist ja wie ein eigenes Zimmer im Zimmer. Da sind sogar Schubladen
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