Das Schiff aus Stein
außen sahen die Häuser ziemlich gleich aus. Alle waren alt und die vielen, zum Teil blinden Fenster zeigten auf den Kanal.
Doch plötzlich deutete Oliver auf eines mit roten Mauern. Dann lief er auf das Haus zu und schlug mit der flachen Hand dagegen.
»Das da? Und warum das?«, wollte No wissen.
Oliver stieg auf eine der Holzleitern, die an der Wand in die Höhe führten, und kletterte zu einem grünen Schlagladen an einem der Fenster. Dort angekommen, hielt er sich mit einer Hand an der Leiter fest, lehnte sich weit zur Seite und öffnete mit der anderen Hand den Laden. Dabei hing er ziemlich akrobatisch in der Luft.
»Oliver, Vorsicht!«, rief Filine.
Der stumme Lehrling ließ den Schlagladen los, drehte sich zu Filine um und winkte ihr zu. Er lächelte breit.
Filine lachte auf. »Warum ausgerechnet das Haus? Kennst du es?«
Oliver nickte.
»Okay, sollen wir mitkommen?«
Oliver nickte wieder. Sofort setzte sich Filine in Bewegung.
Während Rufus ihr mit den anderen folgte, merkte er verwundert, dass er immer wieder dachte, dass Oliver, nur weil er stumm war, auch nicht hören konnte. Das war natürlich kompletter Blödsinn, und doch fiel es ihm schwer, es nicht zu denken.
»Woher kennt der das Haus denn?«, fragte Bent Anselm.
»Keine Ahnung, ich war da jedenfalls noch nie drin. Aber ein besonderer Ort scheint mir das nicht zu sein.«
»Gibt es denn deiner Meinung nach besondere Orte in der Akademie?«, wollte No wissen, während er darauf wartete, dass Filine auf der Leiter ein Stück nach oben geklettert war. »Für mich ist eigentlich die ganze Akademie ziemlich besonders.«
»Na, sicher!«, gab Anselm zurück. »Jede Menge. Ihr drei seid doch immer noch Frischlinge, ihr kennt doch erst einen Bruchteil der Akademie oder so. Tatsächlich ist sie riesengroß und sehr verzweigt. Und natürlich gibt es da ein paar ganz besonders wichtige Orte. Aber das muss schon jeder selbst herausfinden.«
No grinste. »Klingt nicht schlecht! Dann kann ich ja nur hoffen, dass ich meine Lehrlingszeit nicht allzu schnell hinter mich bringe. Jedenfalls nicht, bevor ich hier alles entdeckt habe.«
Er begann, die Leiter nach oben zu steigen. Bent folgte ihm sofort. Jetzt standen nur noch Anselm und Rufus auf dem Boden des Kanals.
»Warum ist die Akademie denn eigentlich so riesig?«, fragte Rufus. »Es gibt ja wirklich eine ganze Menge leer stehender Häuser. Das ist doch eigentlich seltsam.«
»Es hat früher wohl sehr viel mehr Lehrlinge gegeben als heute.« Anselm fasste nach der Leiter. »Coralia meint das jedenfalls.«
»Ach so?«
»Ja.« Und damit kletterte er nach oben.
Der Schritt von der Leiter zum Fensterbrett war nicht ganz leicht in über sieben Meter Höhe, aber in der Akademie kletterten alle Lehrlinge so oft auf den nicht weniger hohen Leitern in der Bibliothek herum, dass sie solche Manöver ohne Furcht und Probleme schafften. Keiner von ihnen dachte auch nur eine Sekunde daran, dass es eine Gefahr bedeuten könnte, ein Haus auf diese Weise zu betreten. Rufus stieg auf das Fensterbrett und ließ sich dann in das Zimmer dahinter gleiten.
Das Innere des Hauses empfing ihn mit einem leicht muffigen Geruch, der ihn kurz an den seltsamen Gestank in der Flutstadt denken ließ. Wieder fragte er sich, ob etwas, das der alte Mann zu dem Jungen gesagt hatte, ihn in die Flut zurückführen könnte. Irgendein Gedanke dazu verbarg sich in seinem Kopf, aber Rufus bekam ihn nicht zu fassen … Er sah sich um.
Das Zimmer war äußerst merkwürdig eingerichtet. An den Wänden hingen gold- und silberglänzende Teppiche, und auf dem Boden standen allerlei Gerätschaften. Rufus erkannte einen eisernen Dreizack, mehrere leere große Körbe, Holzringe oder eher Reifen, die wie Hula-Hoop-Reifen aussahen. Außerdem waren viele Tische in unterschiedlichen Höhen und geradezu unheimlich viele Stühle übereinandergestapelt. An einer Wand lehnten ein paar meterlange Stangen. Komplettiert wurde das seltsame Sammelsurium durch Teller, Bälle und Gläser in verschiedenen Farben, die in einigen Regalen lagerten. Die anderen Lehrlinge schauten sich ebenfalls staunend um.
»Wo sind wir denn hier gelandet?«, fragte Rufus.
Oliver lachte ihm zu und schlug sich vor die Stirn. Dann sprang er auf ein Seil, das straff gespannt zwischen zwei Wänden hing, und fing an, darauf zu balancieren. Im nächsten Augenblick bückte er sich vom Seil herab und ergriff einige Gläser.
»Uh!« No wich einen Schritt zurück. »Flieg damit bloß
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