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Das Schiff aus Stein

Das Schiff aus Stein

Titel: Das Schiff aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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Kilometer von dort entfernt. Und der Südhafen weist natürlich Richtung Ägypten.«
    Filine beugte sich vor. »Tyros und Sidon waren beide wichtige Handelsstädte.«
    Oliver blätterte die Seite um und deutete auf eine Textstelle, die wie ein Gedicht aussah.
    »Hört euch das an«, sagte Filine. »Tyros wird in der Bibel beschrieben. Allerdings heißt die Inselstadt da ›Tyrus‹.« Sie las es den anderen mit lauter Stimme vor: »Tyrus, du warst so stolz auf deine Schönheit. Ein Schiff warst du, ringsum vom Meer umgeben; die Meister, die dich bauten, waren Künstler, die dich zu einem wahren Schmuckstück machten. Vom Hermon holte man Zypressenholz, um deinen Rumpf aus Planken wohl zu fügen. Ein Zederstamm vom hohen Libanon war dir als Mastbaum aufrecht eingepflanzt. Aus Baschan-Eichen machte man die Ruder, aus Zypern kam das Buchsbaumholz fürs Deck. Als Segel diente Leinen aus Ägypten – von weither sah man darauf deine Farben. Ein Sonnendach aus violettem Purpur, das brachten deine Händler aus Elischa. Sidon und Arwad stellten Ruderknechte. Die Ältesten von Byblos sahen nach, dass nirgends Wasser durch ein Leck eindrang. Aus Tyrus kamen Männer voll Erfahrung als deine Steuermänner und Matrosen. Aus aller Herren Länder kamen Schiffe, um ihre Waren bei dir einzutauschen.« 2
    »Echt der Hammer«, sagte No beeindruckt. »Die Stadt wird wirklich wie ein Schiff beschrieben.«
    »Ja, aber in Wirklichkeit war sie kein Schiff aus Stein, sondern ein Schiff aus Stein!«, sagte Rufus. Kaum hatte er das gesagt, kehrte die Flut zurück.
    Diesmal standen die Lehrlinge auf einem Turm hoch über der mehrstöckigen Mauer. Immer noch wehte ein kräftiger Wind, aber es hatte aufgehört zu regnen. Es roch nach feuchtem Mauerwerk und Stein. Von hier aus konnten sie über ganz Tyros blicken. Die beiden Häfen im Norden und Süden der Felseninsel waren tatsächlich durch einen engen, tiefen Kanal verbunden. Im Süden und Norden der Insel thronte jeweils ein großer Tempel. Zwei gewaltige Säulen standen vor dem im Norden gelegenen. Die eine war aus Gold und glänzte in der gewittrigen Luft, die andere war über und über mit grünen Smaragden besetzt und strahlte und funkelte weit über die Stadt. In den Häfen und im Meer davor wimmelte es von Schiffen jeglicher Größe.
    »Das ist ja wie auf einer Autobahn«, meinte No erstaunt. »So viele Schiffe! Wo ist denn nur das, auf dem wir Amilcar zuletzt gesehen haben?«
    Im selben Augenblick wechselte die Flut, und die Lehrlinge standen wieder im Sidonischen Hafen.
    »Da!«, rief Anselm. »Da ist der Junge!«
    Amilcar befand sich dicht vor ihnen auf dem Schiff, das sie bereits zuvor gesehen hatten. Doch zur Überraschung der Lehrlinge hatte dieses die Leinen losgemacht und die Matrosen setzten eben das Segel. Amilcar wurde von zwei Männern festgehalten und stand vor dem kleinen, drahtigen Mann, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte und den Jungen lächelnd ansah.
    »Was machen die denn da mit Amilcar?«, rief Rufus. »Ich denke, er wollte mit einem Griechen über das Glas reden, und jetzt sieht es so aus, als würde er …«
    »Gefangen genommen!«, vollendete Bent den Satz.
    »Er wird entführt!«, rief Filine.
    »Und wieso Grieche?«, fiel Anselm ein. »Das da ist kein griechisches Schiff. Das ist ganz sicher ein phönizisches Schiff! Seht euch die Schilde an den Seiten an. Und seht ihr die Tierköpfe am Steven und am Heck? Das ist ein typisches Merkmal phönizischer Schiffe. Könnt ihr euch an die große Flut erinnern, als die Gesellen um Borgos gescheitert sind? Da war ich dabei und es ging auch um ein phönizisches Schiff. Das sah sehr ähnlich aus.«
    Alle Lehrlinge nickten. Das Schiff hatte jetzt die Hafenausfahrt erreicht und schob sich hinaus aufs offene Meer.
    Anselm schob die Unterlippe vor. »Hat der Junge nicht gesagt, er müsse mit einem Händler über Waren sprechen?«
    »Ja, wieso?«, fragte No.
    »Weil das kein Handelsschiff ist«, gab Anselm zurück. »Diese Schilde an der Seite sind eindeutige Zeichen für ein Kriegsschiff. Und die zwei Reihen Löcher dazwischen, das sind Ruderlöcher! Dahinter liegen die Plätze von Ruderern. Und zwar einer ganzen Menge. Das hier ist ein sehr schnelles Kriegsschiff. Und wenn es von einem Griechen gefahren wird, wisst ihr, was ich dann denke?«
    »Klar!«, sagte Bent. »Wenn das kein phönizisches Handelsschiff ist und auch kein griechisches, dann ist das ein Piratenschiff! Es wird von einem Griechen befehligt, und der

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