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Das Schiff der Hoffnung

Das Schiff der Hoffnung

Titel: Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dann rappelten sie wieder durch karstiges Land und durch Landstriche, in denen selbst die Füchse weinen.
    Claudia war am Ende ihrer Kräfte, zu schlaff, um ohne Hilfe Hellbergs zu gehen, als sie gegen 21.30 Uhr endlich den Bahnhof von Sarajewo erreichten.
    Neues Geschrei umgab sie. Eine Menschenmenge stürzte sich auf die Reisenden, als wolle sie sie lynchen. Aber es war nur Hilfsbereitschaft, nur Brüderlichkeit, denn alle, die da angestürmt kamen, hatten etwas anzubieten: eine Taxe, das Tragen des Gepäcks, Hotelzimmer, Privatquartiere, Adressen von Cafés und Weinlokalen, Tanzsälen und Goldschmieden. Ein Schuhputzer baute seinen Schemel auf und hieb die Bürsten gegeneinander wie die Becken einer Militärkapelle. Eine alte Frau schob auf kreischenden Rollen eine Waage heran und schrie, man solle sich wiegen lassen. Zur Gesundheit gehöre es, Genossen. Und Gesundheit ist Volkspflicht.
    Die Menschen aus dem Abteil Hellbergs waren freundliche Leute, jeder gab Hellberg und Claudia die Hand wie alten Freunden, man winkte ihnen zu und eilte davon. Und sie alle sahen gleich aus, wie Brüder: rußgeschwärzt im Gesicht, mit schmutzigen Hemden und Händen, wie überzogen mit Schmiere, aber fröhlich und freundlich, denn man hatte Sarajewo wohlbehalten erreicht.
    Frank Hellberg führte Claudia durch die ihn umgebenden quirlenden Menschenmassen zu einer Bank. Dort sank sie nieder und legte den Kopf weit in den Nacken, um tief, tief Luft zu holen.
    »Ich werde uns ein Quartier besorgen«, sagte Hellberg. »Irgendwo gibt es hier einen Schalter der Fremdenverkehrsorganisation. Ich bin schnell wieder zurück, Liebste.«
    Claudia nickte. Schlafen, dachte sie. Ein Bett, die Arme Franks, seine Wärme, seine Geborgenheit, und träumen … nur träumen … schlafen …
    Hellberg rannte durch die Halle des kleinen Schmalspurbahnhofes hinaus auf den Vorplatz und hinüber zu dem großen Bahnhof der Normalbahn, in dem die Züge aus dem Norden und Osten hielten. Hier war alles großstädtischer, sauberer, propagandistischer. Hier hingen Fahnen und Spruchbänder, hier herrschte Ordnung und wachte das Auge der Miliz.
    Vor einem Zeitungsstand blieb Hellberg stehen. Sein Blick überflog die Zeitungen. Eine deutsche war nicht darunter, aber ein paar englische.
    Und dann wurden seine Augen starr, und Blässe ließ sein Gesicht fahl werden. Es war, als fiele es zusammen. Wie hundert Jahre sah er aus.
    Eine Schlagzeile.
    Der Daily Mirror.
    »Das darf nicht wahr sein …«, sagte Hellberg leise. »Das darf einfach nicht wahr sein …«
    Er trat näher und nahm die Zeitung aus der Drahtklemme. Die Schlagzeile zitterte in seinen Fingern.
    »Nach Gutachten der Spezialisten:
    Verbot des Krebs-›Wundermittels‹ HTS.«
    Frank Hellberg faltete die Zeitung schnell zusammen, nachdem er den Artikel überflogen hatte. Ein Gremium jugoslawischer Ärzte hatte die Gesundheitsinspektion von Bosnien dazu überredet, das Mittel HTS als ›unwissenschaftlich und unerprobt‹ abzulehnen und damit zu verbieten.
    »Erst lange Versuchsreihen an Tieren und in Kliniken, Veröffentlichungen in medizinischen Fachblättern und Erfahrungsaustausch ausländischer Kliniken sind die Voraussetzungen für die Entwicklung eines Mittels, das anerkannt werden kann«, schrieb die Zeitung. »Hier aber ist ein Arzt mit völlig unorthodoxen Mitteln vorgegangen und hat Hoffnungen erweckt, die nicht zu realisieren sind!« Aber auch die erste Stellungnahme Dr. Zeijnilagics war abgedruckt. Es war ein trauriger, ein fassungsloser Appell an die Welt, die Hoffnung nicht zu verlieren und den Intrigen der anderen Ärzte nicht mehr zu glauben als ihm: »Ich habe das Präparat HTS für den Menschen entwickelt und nicht für das Tier«, sagte er. »Ich bin kein Scharlatan. Ich habe 15 Jahre an dem Mittel gearbeitet. 3.000 Krebskranke haben es bisher bekommen, und 1.000 sind geheilt oder wesentlich gebessert worden! Man soll doch abwarten, wie die Tumorzellen auf mein Mittel wirken! Warum verurteilen, was man noch nicht kennt?«
    Frank Hellberg kam langsam zu der Bank zurück, auf der Claudia wartete. Sie war eingeschlafen, hatte den Kopf auf den rechten Arm gelegt und hockte auf der Bank wie ein kleines, vergessenes, vom Weinen erschöpftes Mädchen.
    Hellberg blieb stehen und sah sie mitleidig an.
    War alles umsonst? dachte er traurig. Muß sie wirklich sterben, nur weil sich die Ärzte untereinander nicht den Ruhm gönnen? Nur weil ein Mensch es wagte, ›unwissenschaftlich‹ vorzugehen und

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