Das Schiff der Hoffnung
oder dem Schwindler, der mit menschlichem Leid jongliert.
War es auch Rettung für Claudia?
Frank Hellberg drückte auf die Klingel. Er schrak zusammen, als er den schnarrenden Laut hörte.
Die Tür öffnete sich. Ein schlankes, schwarzhaariges Mädchen von etwa 13 Jahren mit großen, dunkelbraunen Augen stand in der weiten, düsteren Diele, an deren Wänden eine Reihe alter Stühle standen. Das notdürftige Wartezimmer eines Retters der Menschheit …
»Guten Abend«, sagte das schlanke, glutäugige Mädchen auf englisch und machte einen Knicks. »Ich heiße Meliha. Mein Vater erwartet Sie.«
Mit Lord Rockpourth war nicht zu reden. Nachdem ihm die Transfusionen und Infusionen so gutgetan hatten, die Herzspritzen anschlugen und die Kreislaufmittel ihn ungeheuer tatenlustig werden ließen, kam der alte Ärger über seinen Greisenkörper zurück, der ihm den Dienst versagte. Außerdem traf gegen Morgen Neffe Robert mit Marion Gronau ein, während der Chauffeur in Sarajewo im Hotel Europa blieb und mit der Werkstatt in Belgrad telefonierte, die ihrerseits Verbindung mit der Rolls-Vertretung in Wien aufnahm.
»Was ist das?« schrie Lord Rockpourth, kaum daß Robert ins Zimmer kam. Professor Kraicic, der neben dem Bett saß, hob seufzend die Augen und starrte an die Decke. Er hatte schon viele Kranke erlebt, Skurrile und echte Verrückte, Psychopathen und Simulanten, still und gefaßt Sterbende und Tobende, die sich gegen den Tod stemmten. Lord Rockpourth war eine völlig neue Art von Patient: Medizinisch war er längst tot, aber er tyrannisierte seine ganze Umgebung. Wieso er noch lebte, war Professor Kraicic ein Rätsel. Darin teilte er die Ansicht der anderen Ärzte, die Rockpourth im Laufe der Jahre verschlissen hatte. Nur die Krebsdiagnose, die hielt Kraicic für falsch. Rockpourth war schon von der Erscheinungsform her gar kein Magenkrebstyp, im Gegenteil. Er hatte sich Bilder des Lords zeigen lassen, die Rockpourth mit sich herumschleppte, um zu demonstrieren, welch ein stattlicher Kerl er einmal gewesen war; auf diesen Bildern war der Lord als dicker, schwerer Mann zu sehen, eine Kraftnatur voll Saft und Energie. Wer heute die Mumie sah, glaubte nicht daran, daß dies Lord Rockpourth sein könnte. Der Gegensatz war zu groß.
»Was ist das, Bob!« schrie Rockpourth und klopfte auf die Bettdecke. »Du warst in Sarajewo!«
»Ja, Onkel James.«
»Die erste Pille her!«
»Verzeih, aber ich habe sie nicht. Erstens hatten wir noch keine Zeit, mit Dr. Zeijnilagic zu sprechen, weil wir sofort zurück nach Mostar gefahren sind, als wir erfuhren, daß du hier bist, und zweitens …«
»Viele Worte, verdammt noch mal! Faul ward ihr alle!«
»… und zweitens gibt es kein HTS mehr!«
»Was?« Lord Rockpourth starrte seinen Neffen und dann Professor Kraicic an. »Das ist doch eine Lüge, eine ganz infame Erbschleicherlüge! Man will mich verrecken lassen. Professor, jetzt hören und sehen Sie es! Keine Pillen mehr! Haha!«
Professor Kraicic nickte. »Es stimmt, Mylord. Man hat das HTS staatlich verboten. Vor zwei Tagen.«
»Ist man in Belgrad verrückt?«
»Vorsichtig, Mylord. Es gibt da Unklarheiten …«
»O diese Worte! Nur Worte! Nur Gestammel! Hat das HTS bisher geholfen? Ja oder nein?«
»Ja und nein! Aber Erfolge sind keine Beweise für die Unschädlichkeit des Mittels. Es fehlen Versuchsreihen, es fehlen Überwachungen von Nachwirkungen …«
»Diese Wissenschaftler!« schrie Lord Rockpourth und klopfte mit der knochigen Faust wieder auf die Bettdecke. »Wie gut, daß man weiß, aus welchen chemischen Bestandteilen ein Furz besteht, man müßte sonst heimlich, hinter dem Haus, in die hohle Hand …«
»Onkel James!« sagte Robert warnend.
»Wer hat das HTS verboten?«
»Die Gesundheitsinspektion von Bosnien«, antwortete Professor Kraicic.
»Ärzte?«
»Natürlich.«
»Aha! Der Futterneid! Einer entdeckt was, und die anderen sehen ein, daß sie Rindviecher sind, und wehren sich dagegen! Bei Koch war es so, bei Semmelweis, bei Pasteur, überall. Man müßte eine Liga der Arztgeschädigten gründen. Robert!«
»Onkel James?« fragte Neffe Robert voll dunkler Ahnungen.
»Besorg' einen Wagen! Wir fahren nach Sarajewo weiter.«
»Sie sind nicht transportfähig, Mylord«, rief Professor Kraicic entsetzt. »Sie müssen weiterbehandelt werden!«
»Ich muß nach Sarajewo!« schrie Rockpourth zurück.
»Was wollen Sie denn da?«
»Das HTS, verdammt! Ich kaufe den ganzen Dr. Zeijnilagic. Ich kaufe
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