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Das Schiff der Hoffnung

Das Schiff der Hoffnung

Titel: Das Schiff der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Nun war er bereits überfüllt, in den Gängen stand man eingekeilt, ein Umfallen war unmöglich. Die rauchende, blubbernde und zischende Lok wirkte wie aus dem Museum entliehen, die pufferlosen Wagen waren eine Mischung zwischen Viehwagen und Werkstattwaggons. Aus den heruntergeschobenen Fenstern quoll eine Wolke von Stimmen und Kindergeschrei, getragen vom Duft aus Knoblauch, Schweiß und nicht bestimmbaren Gerüchen.
    »O Gott …«, sagte Claudia. Aber es war kein Schreckensruf. Das Glück der vergangenen Nacht hatte sie verwandelt. Für sie war die Welt nun immer voll Sonne; es gab nichts, was ihre innere Freude zerstören konnte. »Wir müssen aufs Dach klettern, Frank.«
    Hellberg hielt einen Beamten fest, der an ihm vorbeilief, zeigte ihm die Fahrkarten und wies auf den überfüllten Zug.
    »Nix …« sagte er. »Prego …«
    Der Bahnbeamte sah Hellberg und Claudia kurz an. »Italiano?« fragte er zurück.
    »No. Allemani …«
    »Oh!« Der Beamte grüßte, lächelte breit, hob die Hand und sagte etwas, was Hellberg so verstand, daß er warten solle. Er sah, wie der Beamte mutig – und es gehörte Mut dazu! – einen der besseren Wagen enterte, die an der Tür stehenden Menschen, ganz gleich ob Mann oder Frau, mit den Fäusten zur Seite boxte und unter lautem Geschrei im Inneren des Wagens verschwand. Es war, als habe jemand mit einem Stock in einen Ameisenhaufen gestoßen. In dem Waggon quirlten die Körper durcheinander, eine Frauenstimme schrie hysterisch, durch ein offenes Fenster flog eine Mütze auf den Bahnsteig … dann, nach ungefähr zehn Minuten, erschien der todesmutige Beamte wieder an der Tür, schwitzend, aber mit breitem Lächeln, und winkte mit beiden Armen.
    »Wir haben Plätze«, sagte Hellberg ehrlich erstaunt. »Das nennt man echte Gastfreundlichkeit.«
    Sie zwängten sich durch die Menschen, kämpften sich an Bäuchen und Brüsten vorbei, aber was Hellberg erwartet hatte, geschah nicht: Niemand schimpfte, niemand wurde handgreiflich, keiner war beleidigt. In einem Abteil waren zwei Plätze am Fenster geräumt. Wer dort vorher gesessen hatte, wußte Hellberg nicht. Er ließ Claudia Platz nehmen und wandte sich dann an die anderen Reisenden, die wie gestapelte Rundhölzer nebeneinander standen.
    »Verzeihung«, sagte er. »Das habe ich nicht gewollt. Ich wollte nur mitgenommen werden.«
    Die Reisenden grinsten ihn an, nickten, und die vorderen, die sich noch bewegen konnten, winkten ihm zu.
    Um 9 Uhr gellte ein Pfiff über den Bahnhof. Der Zug ruckte plötzlich an, die Mauer der Leiber wankte, aber sie konnte nicht fallen, Dampf zischte aus dem Schornstein der kleinen, alten Lok, und dann fuhr der Zug, polternd und rumpelnd, schaukelnd und stöhnend und verließ das Paradies Dubrovnik, um einzutauchen in ein Land, das wild und feindlich war.
    Hellberg und Claudia sahen hinaus. Durch Schluchten und über steile Täler, in deren Gründe ein Wildbach rauschte, schwankten die Wagen langsam bergan. Es war ein Eilzug, aber man konnte gemütlich während der Fahrt auf- und abspringen, und ein paar junge Burschen taten es auch, angefeuert von den Rufen der Zuschauenden.
    Vor jedem Tunnel pfiff die Lok, dann wurden schnell die Fenster hochgedreht, denn die Tunnels waren eng, und eine Woge von Ruß schlug in dem engen Schlauch über den Wagen zusammen. Kaum wieder im Tageslicht, rasselten die Fenster herunter, denn auch der Gestank innerhalb des Zuges war selbst starken Nerven bei geschlossenen Fenstern zuviel.
    Die erste Station. Hellberg merkte sich den Namen nicht, aber fasziniert starrte er auf die Händler, die am Zug mit lautem Geschrei und wilden Gesten entlangrannten. In Bauchläden boten sie Gebäck und Limonade oder Trinkwasser in Plastikflaschen an, Andenken aus Gips, Bettvorleger, Kopftücher und Glasketten. Ein Mann mit einem Kofferradio stieg ein. Jubel empfing ihn, er mußte sein Gerät sofort anstellen und auf volle Lautstärke drehen. Musik kreischte durch den Gang, jemand sang mit, ein Kind schrie. Im Abteil, in dem Hellberg und Claudia saßen, war auch ein junges Pärchen. Es stand neben der Tür. Und dieses Pärchen begann nun zu tanzen nach der plärrenden Musik. Aber das war kein Tanz mehr, sondern nur mehr ein wildes Aneinanderreiben, und das Mädchen bekam große, glänzende Augen, feuchte Lippen und stieß kleine, spitze Schreie aus.
    Weiter. Die Lok keuchte. Steil ging es bergauf, dann über eine Hochebene, über kühn gespannte Brücken, vorbei an silbern glitzernden

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