Das Schiff der Hoffnung
ausrotten konnte, wenn sie erst einmal gepflanzt war.
»Es stimmte also, was man in der Pension erzählte: Das große Schiff ist kaputt, und es fährt ein kleiner Kahn.« Marion lehnte sich aus dem Fenster. Autos standen seitlich des Tores, man hatte ihnen die Durchfahrt zur Mole sichtlich verweigert, und nun bestürmten die Fahrer mit wilden Armbewegungen die Polizeiposten. Nur Wagen mit sichtbar Kranken wurden durchgelassen. Ein großer Bentley aus England zum Beispiel, auf dessen Hintersitzen ein Mann lag, eingehüllt in Wolldecken trotz der Sommerhitze. Ein atmendes Gerippe. Die Polizisten sahen in den schweren Wagen, eine Frau mit einem bunten Kopftuch hielt einen Zettel hin, und der Polizist nickte, die Postenkette löste sich, der Wagen fuhr langsam in den inneren Hafen zur Molo Foraneo.
Vielstimmiges Geschrei begleitete den Engländer. Die Postenkette der Carabinieri schloß sich wieder.
»Sie lassen nur Schwerkranke auf das Schiff«, sagte Marion.
Karl Haußmann nickte. Er hatte es auch gesehen.
»Fünfzehn Autos soll der Dreckskahn mitnehmen können«, sagte er bitter. »Himmel noch mal, was sind 15 Wagen? Und dann auf dem Oberdeck!«
»Warten wir, bis die ›Sveti Stefan‹ wieder fährt.«
»Dann verfallen die Karten! Heute abend müssen wir an Bord, und wenn wir auf dem Schiff wie die Ölsardinen aufeinander liegen.«
»Also ohne Auto?«
»Mit!«
»Wir könnten von Dubrovnik auch mit der Bahn fahren, Bärchen.«
Haußmann schielte zu Marion. Das Kosewort Bärchen berührte ihn komisch. Es rief Erinnerungen wach, die noch gar nicht so lange vergangen waren. Jeden Morgen im Büro … die Viertelstunde Morgenknutscherei … das ›Ankurbeln des Motors‹, wie es Haußmann nannte … die Diktate, bei denen niemand stören durfte, die Geschäftsreisen, die immer in einer Bar endeten … Bärchen!
»Die Bahnfahrt hält Erika nicht aus«, sagte er grob.
»Und ein Bus fährt auch.«
»Bist du schon mal mit einem balkanischen Bus durch einen Karst gefahren?«
»Nein.«
»Dazu gehört ein Lederhintern. Erika käme nie in Sarajewo an.«
»Wenn es das Schicksal so will, Bärchen …«
Haußmann drehte sich voll zu Marion. Seine Augen waren hart.
»Fängst du schon wieder an?« fragte er. »Wir hatten uns geeinigt, so lange nicht mehr über private Dinge zu sprechen, bis wir wieder in Deutschland sind und wissen, was das Schicksal uns zugedacht hat.«
»Das Schicksal!« Marion Gronau zog die Lippen kraus. »Seit Rimini wird nur noch in großen Worten gesprochen.« Sie legte Haußmann die Hand gegen die Backe und zwang ihn so, sie anzusehen. »Du hast doch gesehen, daß ich Frank aufgegeben habe.«
»Sagen wir es andersherum: Frank hat dich aufgegeben.«
»Es wäre mir ein leichtes gewesen, diese kleine, blasse Italienerin auszustechen. Aber ich wollte nicht. In all den Tagen habe ich es mir genau überlegt und habe mich entschieden: Soll Frank mit seiner durchsichtigen Claudia glücklich werden – ich liebe dich, Bärchen.«
»Laß den Blödsinn«, antwortete Haußmann steif.
»Es ist vielleicht eine unglückliche Liebe.« Marion sah hinüber zum Meer, und ihr Gesicht nahm einen leidenden Ausdruck an. »Ich sehe ja, daß du zu deiner Frau zurückgefunden hast.«
»Ich war nie weg.«
»Du wolltest dich vor zehn Tagen noch scheiden lassen, ihr das Haus überschreiben und ihr eine Rente zahlen.«
»Vage Ideen …« Haußmann schaltete den Rückwärtsgang ein und setzte zurück. Marion sagte die Wahrheit, aber es war ihm, als habe er nie solche Gedanken geäußert. Auch spürte er erneut, daß in ihm eine Wandlung vorgegangen war: Die Begierde nach Marions jungem, üppigem Körper war der Angst gewichen, sie könnte Erika alles erzählen, was in den letzten Monaten in der Fabrik geschehen war. Nur diese Angst vor der Rache einer enttäuschten und zur Seite geschobenen Geliebten hinderte ihn noch daran, Marion nicht grob ins Wort zu fahren. »Wir sollten von solchen Dingen überhaupt nicht mehr sprechen, Marion«, sagte er heiser. »Es geht jetzt nur noch darum, daß wir heute nacht mit diesem Mistkahn da nach Dubrovnik fahren.«
»Und wenn deine Frau wirklich unheilbar ist?«
»Du bist abscheulich nüchtern!«
»Krebs ist eine Krankheit, die man nur nüchtern und sachlich betrachten sollte. Es gibt keine Illusionen bei Krebs!« Marion griff Haußmann ins Lenkrad. Er bremste scharf und fluchte leise.
»Bist du verrückt? Sollen wir uns überschlagen?«
»Ganz klar, mein Lieber: Was tust
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