Das Schiff im Baum: Ein Sommerabenteuer (German Edition)
Glaub mir, er hat dich längst verstanden, er hat ja gesehen, dass dir unser Lied gefallen hat, und das wolltest du doch sagen, oder?«
Ole nickte.
Onkel Fietes Grinsen wurde breiter.
»Wir sind megakrass, Polly! Das hab ich dir ja immer gesagt: megakrass!«
Nach dem Frühstück nahm Onkel Fiete Ole beiseite.
»Nichts für ungut, Kumpel, wenn du Lust hast, kann ich dir beibringen, wie man die Mundharmonika spielt. Ein Leichtmatrose muss das nämlich können.«
Ole druckste rum. Ich wusste genau, was er dachte. So gerne mein Bruder Ja gesagt hätte, die Vorstellung, auf einer Mundharmonika zu spielen, in die Onkel Fiete reingesabbert hatte, war irgendwie eklig. Ich war gespannt, wie er aus dieser Nummer rauskommen würde.
»Aber … aber ich hab ja keine Mundharmonika«, sagte Ole schließlich.
»Kein Problem«, meinte Onkel Fiete. »Du kannst ja meine nehmen.«
»Dann hast du doch keine«, sagte Ole.
»Aber, Fiete Feddersen, das ist doch unhygienisch!«, mischte sich Tante Polly ein. »Der Junge kann nicht auf deiner Mundharmonika spielen! Da müsste doch irgendwo noch eine sein, eine ganz neue! Ich werde sie suchen, Ole. Und spätestens heute Abend könnt ihr mit dem Unterricht anfangen!«
»Krass!«, sagte Ole.
»Megakrass!«, grinste Onkel Fiete.
Und dann saßen wir unter dem Kirschbaum im Schatten und langweilten uns. Tante Polly kramte im Haus he-rum und suchte die zweite Mundharmonika, Onkel Fiete hatte die Seemannskappe aufgesetzt und war mit Freitag »eine Runde drehen«.
»Nein, da könnt ihr nicht mit! Das ist eine Sache zwischen dem Hund und mir!«
»Der geht doch bloß wieder zur Bushaltestelle und wartet auf den Bus, der nie kommt!«, sagte Ole.
»Weil er da in Ruhe schlafen kann und Tante Polly ihn nicht hochscheucht!«, kicherte ich.
»Was Mama jetzt wohl macht?«, fragte Ole. »Sie hat über-haupt noch nicht angerufen, obwohl sie es versprochen hat.«
Ich sah eine dunkle Heimwehwolke in seinen Augen.
»Vielleicht vermisst sie uns gar nicht! Vielleicht ist sie froh, dass sie uns los ist!«
»Blödsinn!«, sagte ich. »Du weißt doch, dass Mama in Kur ist. Bei Laura Lahnsteins Mutter war das genauso. Die ersten Tage haben die immer Stress, da müssen die rund um die Uhr zu irgendwelchen Wassergüssen und Moorpackungen und Gymnastikkursen und abends sind Vorträge über gesunde Ernährung und so. Mama hat einfach keine Zeit, uns anzurufen.«
»Glaub ich nicht!«, sagte Ole. »Wenn sie wollte, könnte sie!«
Er fing an zu schniefen.
»Jetzt fang bloß nicht an, hier loszuheulen! Ich weiß, dass Mama uns vermisst. Sie denkt die ganze Zeit an uns und hat nur Angst, dass du losheulst, wenn du ihre Stimme hörst! Wenn ich Mama wäre, würde ich auch erst mal nicht anrufen!«
Ich war mir nicht sicher, ob das wirklich stimmte, aber irgendwie war es eine ganz gute Erklärung.
»Na ja«, sagte Ole und schniefte noch mal. »Einen Tag gebe ich Mama noch, aber wenn sie heute Abend nicht anruft, dann …«
»Was dann?«
»Dann geh ich zur Bushaltestelle!«
»… und wartest auf den Bus, der nie kommt? Du bist ein Spinner!«
Genau in diesem Augenblick schrillte das Telefon.
Es schrillte so laut, dass Long John Silver sofort zu krähen anfing.
Ole und ich sprangen auf und rannten zum Haus. Tante Polly stand an der Hintertür und fuchtelte mit den Armen.
»Kommt schnell, Kinder! Eure Mutter ist am Telefon!«
Im Hausflur stand ein uraltes schwarzes Telefon mit einer Wählscheibe.
Der schwere Telefonhörer lag daneben. Ole wollte ihn sich schnappen, aber ich war schneller.
»Mama?«
»Katharina, mein Schatz, wie geht es euch?«
»Gut, Mama! Wir …« Weiter kam ich nicht, denn Ole hatte den Hörer an sich gerissen.
»Mama!«
»Ole, Liebling!«
»Mama, hier gibt es Menschenfresser und nachts knurpsen die Mäuseknochen und das Bett knarrt ganz laut und Kirschen haben wir auch schon gepflückt! Wann kommst du?«
»Aber Ole, ich bin doch gerade erst einen Tag weg!«
»Ich weiß aber nicht, was ich machen soll! Es ist so langweilig hier!«
»Aber, Ole, habt ihr denn schon die Gegend erkundet?«
»Bis zur Wiese. Und auf dem Kirschbaum waren wir!«
»Vielleicht könntet ihr ja mit dem Fahrrad nach Großwedau fahren. Gib mir doch mal Katharina!«
Ole reichte mir den Hörer.
»Ja, Mama?«
»Im Schuppen müssten zwei Fahrräder stehen. Ihr könnt doch eine Radtour nach Großwedau machen! Das hilft hundertprozentig gegen Langeweile und Heimweh! Und wenn ihr die Autowerkstatt
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