Das Schiff - Roman
Schiffsleitung repräsentiert oder personifiziert. Schon lange bevor Mutter geschaffen wurde, war das Schiff zur Leichenkammer verkommen. Man hatte eine Fehlentscheidung getroffen, vielleicht aufgrund einer interstellaren Katastrophe wie der Supernova. Das Schiff nahm Schaden, es herrschte allgemeine Verwirrung, klar, aber was ging sonst noch vor sich? Bestimmt irgendetwas, was noch schwerer wog. Ich bin seinerzeit
gestorben, genau wie die anderen. Wieder und wieder sind wir gestorben. Und mittlerweile komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass wohl keiner von uns noch lange überleben wird, geschweige denn das Ruder herumreißen und diese Mission doch noch zum Erfolg führen kann. Ich räume uns kaum noch eine Chance ein.
Während ich den riesigen Sack schleppe – die beiden Mädchen begleiten mich ohne Murren, zeigen sowieso kaum eine Gefühlsregung, obwohl sie über die Trennung von ihrer Mutter sicher nicht gerade begeistert sind –, frage ich mich zwangsläufig, ob …
Die Antwort auf viele Fragen hängt davon ab, welchen Teil des Klados Mutter repräsentiert und nutzt. Für welche Art von Planeten hatte man sie vorgesehen, wo sollte sie sich niederlassen? Und welche Umstände würden eher für ihr Gesellschaftsmodell und ihre Art von Nachwuchs sprechen als, sagen wir, für die Gesellschaftsform und den Nachwuchs, die ich mit meiner Gefährtin aus der Traumzeit realisieren wollte?
Das Phänomen »Mutter« ist nur im Kontext des schwer beschädigten Schiffs, das darüber hinaus mit sich selbst im Clinch liegt, plausibel. Wir alle sind aus der Not geboren.
In Wirklichkeit bin ich ja nicht einmal Lehrer. Diese wunderbare Geschichte, die man mir in der Traumzeit vermittelte, war immer nur eine Farce, ein Täuschungsmanöver.
»Schneller!«, treibt mich das Mädchen an, das mir am nächsten ist, während wir uns durch den Korridor
mit den Streifen schieben, vorbei an Zeichen, die ursprünglich dazu gedacht waren, Elemente zu ihrem Einsatzort zu lenken.
Falls wir tatsächlich an meinem Ziel ankommen, werden wir dieses Bündel von Geschichten bei Lesern abliefern, für die Mutter wohl kaum noch Mitgefühl empfinden dürfte. Sicher hat sie in unserer Gruppe inzwischen eine Bedrohung erkannt. Und diese potenziellen Leser haben inzwischen ihrerseits tiefer in den Spiegel geschaut und wahrscheinlich sogar mehr herausgefunden als Kim und ich. Schließlich war Nell gerade auf einem vielversprechenden Weg. Aber wie passt das alles zusammen?
Warum sollte man jemandem, der einem den Kampf angesagt hat, Zugang zu geheimen Informationen gewähren?
Und was meinen Zwillingsbruder betrifft …
Ich fühle mich völlig ausgelaugt und nutzlos.
Und so bin ich kaum überrascht, empfinde vielleicht sogar so etwas wie hämisches Vergnügen, als ich eines der Mädchen sagen höre, wir seien falsch abgebogen. Die Töchter sind beunruhigt darüber, dass wir nicht schnell genug vorwärtskommen.
Jetzt stößt auch das andere Mädchen zu uns, hämmert gegen die Wand, tritt mit dem Fuß dagegen, so dass es widerhallt, während sie die andere Hand am Verschluss ihres Overalls verhakt. »Das Schiff hat sich verändert«, erklärt sie mit ernster Miene.
»Vielleicht haben sich die Durchgänge verschoben. Sind wir jetzt aufgeschmissen?«, frage ich in einem Anflug
von Schadenfreude. Nell ist dafür ausgerüstet, mit dem Schiff zu kommunizieren. Hat sie die Architektur des Schiffes verändert, um Mutters Pläne zu vereiteln?
Das Mädchen reagiert auf meine ironische Bemerkung mit einem Blick, der mich trotz allem, was inzwischen passiert ist, direkt ins Herz trifft. Denn dieser Blick drückt kindlichen Schrecken aus und besagt: Wie kannst du nur so gemein sein?
Vielleicht kann ich den Mädchen doch noch das eine oder andere beibringen, zum Beispiel gemeine Gedanken und ekelhaft ironische Bemerkungen. Aber ich unterdrücke meine Schadenfreude. »Also gut«, sage ich. »Und was jetzt?«
»Wenn wir zurückgehen, werden wir uns verspäten«, sagt eine der Töchter. »Aber wir wissen nicht, wie wir vorwärtskommen sollen. Wir finden ja nicht einmal den Weg zurück …« Sie wirkt völlig ratlos, trotzdem kann ich kein Mitgefühl mit ihr empfinden.
Verspäten? Sie können mich also nicht rechtzeitig dorthin bringen, wo Mutter mich haben will, an den Ort, wo mich der Tod erwartet. Die Bücher sollten vernichtet werden, sie sind jetzt ohnehin nutzlos, genau wie ich. Auf welche Weise soll ich umgebracht werden?
War es so gedacht, dass am
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