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Das Schiff - Roman

Das Schiff - Roman

Titel: Das Schiff - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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träumt sie, während sie all ihre Töchter stillt?
    »Aber mir ist noch immer nicht klar, wer das Sagen hatte, als alles noch gut lief«, fährt Kim fort.
    »Die Reiseleitung«, erwidere ich. »Sie war dafür zuständig, unseren Bestimmungsort auszuwählen. Und dabei galt die Devise, dass das Schiff und alles an Bord der Mission unserer Reise untergeordnet ist. Die Ziele dieser Mission hingen zwangsläufig davon ab, wo wir hinfliegen und wann wir dort ankommen würden …
Und welche Situation wir bei unserer Ankunft vorfinden würden. Und für all diese Entscheidungen war die Reiseleitung zuständig.«
    Das gefällt den Mädchen überhaupt nicht. Ich bin ja selbst von meiner unverblümten Äußerung überrascht. Mutter hat währenddessen keine Miene verzogen. Ich hatte auf irgendeine sichtbare Reaktion gehofft, um mein weiteres Vorgehen besser planen zu können.
    »Aber die Reiseleitung hat eine Welt ausgesucht, die bereits bewohnt war. Nicht gerade die beste Wahl, stimmt’s? Es war eine aus der Verzweiflung geborene Entscheidung. Und diese Entscheidung hat den Krieg ausgelöst. Einen Krieg aus Gewissensgründen.«
    Die Mission erfüllen, koste es, was es wolle? Nein, nicht um jeden Preis.
    Und plötzlich … schwindet jede Liebe. Ich sehe, wie Mutters Gesichtszüge erstarren, sich so verhärten, als hätten diese gemeinsamen Erinnerungen nie existiert. Jetzt bin ich für sie nur noch ein arglistiger Betrüger, genau wie Kim. Ich bin nicht der Lebensgefährte, den sie braucht. Und Kim nicht der Laborassistent, den sie sich erhofft hat. Würden die Düfte der Laube meine Reaktion nicht dämpfen, hätte ich jetzt sicher große Angst.
    »Ich habe gehört, was ihr zu sagen hattet«, erklärt Mutter. »Im Übrigen bin ich nicht die erste Mutter. Und meine Töchter sind auch nicht die ersten Töchter.«
    Vier Mädchen betreten die Laube. Sie schleppen eine Schnur, an der kleine graue Säcke wie Fische an einer
Leine befestigt sind. Die Säcke sind so schwer, dass sie herumwirbeln, aneinander stoßen und dabei Zweige und Blätter abreißen, die ein anderes Mädchen sorgfältig aufsammelt, mit den Händen zermahlt und in einem kleineren Sack verstaut, der an ihrer Taille baumelt.
    »Die Mädchen haben das hier in allen Schiffskörpern gefunden – überall verstreut«, bemerkt Mutter. »Es sind die Zeugnisse der vielen, die nicht am Leben geblieben sind. Ich habe keinen Bedarf mehr dafür. Vielleicht sind sie euch von Nutzen.«
    Die oben zugebundenen Säcke sind aneinandergeschnürt und enthalten offenbar kleine, rechteckige Gegenstände. Als Mutter mir das Ende der Schnur reicht und ich einen der Säcke öffne, entdecke ich Notizbücher darin. Dutzende oder mehr befinden sich in jedem einzelnen Sack. Insgesamt müssen es Hunderte sein.
    »Geh dorthin zurück, wo du hergekommen bist, Lehrer. Und sag dem anderen Lehrer, dass er hier erscheinen soll. Kim, du wirst bei mir bleiben und mir mehr von dem erzählen, was du über den Klados weißt.«
    Diese Aussicht findet Kim keineswegs verlockend. Aber noch weniger lockt es ihn, sich auf einen Kampf mit den Mädchen einzulassen, die uns mittlerweile umzingelt haben. Er ist zum Laborassistenten bestimmt – normalerweise wäre Mutter seine Chefin. Auch Kim verfügt jetzt wieder über Erinnerungen an die Traumzeit.
    Nach einem letzten intensiven Blick verabschiedet mich Mutter mit den Worten:
    »Doch, ach, ihr Herz ist schon verschenkt,
wird niemals meines sein.«
    Ich bin nicht derjenige, den Mutter braucht. Trotzdem bringt sie es nicht über sich, sich meiner ein für alle Mal zu entledigen.
    Sie hat meinen Doppelgänger zu sich beordert. Und bis zu seiner Ankunft wird sie Kim als Geisel bei sich behalten.

Geschichten im Schlepptau
    Z wei der Mädchen begleiten mich. Die Bücherbeutel haben sie in einem großen Sack untergebracht, der bequemer zu schleppen ist als die einzelnen Säckchen. Trotzdem ist er sperrig. Zweifellos hat Mutter die Notizbücher schon gelesen oder aber meine anderen Versionen haben sie ihr vorgelesen – all diese Berichte ihrer Lebensgefährten und Töchter und auch der Töchter ihrer Vorgängerinnen, der früheren Mütter. Die Berichte all derjenigen, die gestorben sind, ehe sie ihre Notizbücher persönlich bei Mutter abliefern konnten.
    Unzählige Geschichten über den Krieg zwischen Reiseleitung und Schiffsleitung. Möglich, dass Mutter, nachdem sie alle Erinnerungen und Verantwortlichkeiten des Schiffs übernommen hat, tatsächlich die

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