Das Schiff - Roman
eingefasst ist, von einem Käfig . Von der Verstrebung – dem Geländer – zu unserer Linken führt auf Schulterhöhe eine Leiter weiter nach oben.
Aber das ist nicht das Entscheidende. Der Teil der Brücke, auf dem wir gegenwärtig entlanggehen – nennen wir’s Boden, auch wenn er völlig anders aussieht als der Boden des Korridors –, ist nicht massiv, sondern besteht aus Gitterrosten, die auf Querverstrebungen aufliegen und mit dem Käfig und den langen Geländern verbunden sind. Und von hier aus können wir nicht nur nach rechts und links, sondern auch nach unten blicken.
Als wir anhalten, um hinunterzuschauen, sehen wir, dass die Dunkelheit unter uns von winzigen Lichtquellen
erhellt wird, die völlig anders wirken als die uns vertrauten Glühlämpchen. Und es sind so viele Lichtpunkte, dass ich sie im Leben nicht zählen könnte.
»Was ist das?«, fragt die Kleine mit Piepstimme. Sie hat so etwas bestimmt noch nie gesehen, obwohl ihre Miene beherrscht ist und weder Verblüffung noch Neugier verrät. Alles was über ihren Horizont geht – seien es große unbekannte Objekte, Ideen oder Vorstellungen – , ist ihr mit Sicherheit zuwider.
»Das ist der Himmel «, erwidere ich. »Das Universum. Und die Lichter sind Sterne.«
»Das hier ist Schiff !«, wirft Picker ein. »Großes krankes Schiff.«
»Wo sind wir?«, fragt die Kleine mit bebender Stimme.
»Auf einer überdachten Plattform, in einer Aussichtskuppel«, erkläre ich. »Ich kenne so was aus der Traumzeit. « Tatsächlich erinnere ich mich vage daran. Wir alle pflegten uns dort zu versammeln, um auf die neue Welt hinunterzublicken. Nur sehe ich hier nichts, das einer neuen Welt ähnelt. Aber irgendetwas liegt vor uns, unter uns, von der geschwungenen Brücke und den Geländern größtenteils verdeckt. Als wir weitergehen, taucht ein großes Objekt in unserem Blickfeld auf, das sich genau wie wir bewegt, und zwar ziemlich schnell. Bald wird es direkt unter uns vorbeiziehen. Da ich einen Moment lang verwirrt bin, bleibe ich stehen und halte mich am Geländer fest.
»Ist das unsere Welt?«, fragt die Kleine. Auch sie scheint sich an gewisse Dinge aus der Traumzeit zu erinnern.
Jetzt wandert das Objekt unter uns vorbei. Es ist tatsächlich groß und weist weiße Flecken, Spalten, Krater sowie dünne Grenzlinien und Grenzstreifen auf. Es wirkt wie ein von einem Käfig eingefasster Schneeball. Ein sehr schmutziger Schneeball. Und der darüber gestülpte Käfig setzt sich in einer gigantischen, eleganten Verstrebung fort. Und diese Verstrebung, Stütze, Klammer oder was es auch sein mag, reicht von dem schmutzigen Schneeball bis zu unserem Standort hinauf. Sie verbindet den Schneeball mit dem Schiff.
Im Uhrzeigersinn wandern Schneeball und Verstrebung zur anderen Seite, so dass sie bald darauf nicht mehr zu sehen sind. Verglichen mit diesem schmutzigen Eisklumpen ist das Schiff winzig. Das Schiff rotiert offenbar in einer Art Wiege oder Aufhängung oberhalb des Schneeballs. Oder aber der Schneeball rotiert um das Schiff, aber Letzteres scheint wenig plausibel. Anscheinend befinden wir uns innerhalb eines rotierenden Gebildes, vermutlich in einem Zylinder. Und die Rotation um die eigene Achse erzeugt Beschleunigung und Schwere. Es ist das Schiff selbst, das rotiert!
»Das ist nicht unsere Welt«, erkläre ich.
Satmonk scheint derselben Meinung zu sein. Kopfschüttelnd streckt er die Handflächen nach oben, als wollte er diese Annahme weit von sich weisen.
Vielleicht weiß ich sogar, was es mit diesem schmutzigen Schneeball auf sich hat, aber eigentlich will ich es gar nicht wissen. Denn falls ich richtig liege, ist das Schiff tatsächlich sehr krank. Dieser Schneeball ist nämlich viel zu groß .
Als er wieder in unserem Blickfeld auftaucht, kann ich an einer Seite ein gewundenes Rinnsal ausmachen. An dieser Stelle wurde offenbar Eis herausgeschaufelt, vielleicht sogar maschinell abgebaut. Rinnsal – das Wort beschwört bei mir das Bild von sich dahinschlängelnden Bächen herauf, denn eigentlich bedeutet es ja auch kleiner Wasserlauf , aber die Kugel besteht nur aus Eis.
Einstweilen ist das, was wir sehen, zwar ebenso beeindruckend wie beängstigend, und es vermittelt uns auch verblüffende neue Informationen, nützt uns aber trotzdem wenig, denn es verhilft uns nicht zu Essen und Trinken.
Da unser Standort nicht dazu einlädt, hier zu verweilen, um über die neuen Erkenntnisse zu sinnieren, gehen wir bis zu der Stelle weiter, an der die
Weitere Kostenlose Bücher