Das Schiff - Roman
großen Raum nehmen merklich zu.
»Die Schwere kehrt zurück«, erklärt das Mädchen und teilt Pushingar etwas mit Pfeiftönen mit.
»Wir spüren es«, erwidert Picker.
»Ich glaube, gleich gibt es starken Wind«, fährt die Kleine fort. »Die ganze Luft hier drinnen wird mit der Rotation gleichziehen und Wirbel bilden. Wir sollten uns auf den Boden kauern, bis es vorbei ist.«
Und genauso kommt es. Während wir die kurze Strecke nach »unten« fallen, kühlt sich die Luft ringsum nicht nur ab, sondern gerät auch heftig in Bewegung, heftiger sogar, als der Wind über dem Flussbett gebraust hat. Bald darauf erreicht der Wind Sturmstärke – schönes Wort! – und zerrt uns über den Boden, so sehr wir uns dagegenstemmen. Allerdings ist er noch nicht so stark, dass er uns hochträgt und herumwirbelt.
Die wirkliche Gefahr ist die Kälte. Ich merke, wie meine Haut taub wird, und beobachte, wie Satmonk und Picker vor mir auf allen vieren über den Boden krabbeln. Links von mir befindet sich Pushingar, dahinter das Mädchen.
»Wie weit müssen wir denn noch?«, rufe ich, doch die Kleine schüttelt nur den Kopf. Entweder kann sie mich nicht hören, oder sie weiß es nicht. Schließlich pressen wir uns trotz der beißenden Kälte flach auf den Boden und spüren dabei, dass das zurückkehrende Körpergewicht uns nach und nach besseren Halt gibt. Außerdem ist es am Boden immer noch wärmer als oberhalb davon, wo wir dem eiskalten Wind ausgesetzt sind.
Ich befinde mich fast auf Augenhöhe mit den allgegenwärtigen kleinen Leuchtkugeln, mit den Glühlämpchen , die alles ringsum in schwaches Licht tauchen. Mittlerweile dreht sich die ganze Kammer nach oben, vielleicht auch das ganze Schiff. Ich weiß weder, was sich hier dreht, noch warum. Ich weiß nur, dass ich die ganze Situation mehr als satthabe. Wenn mein zukünftiges Leben so aussieht, dann bin ich bereit, den Löffel abzugeben – wo kommt das jetzt her? – und an Ort und Stelle zu erfrieren. Aber mein Körper ist anderer Meinung. Das hartnäckige Eigenleben meiner Biologie geht mir zunehmend auf die Nerven. In Anbetracht dieser neuerlichen Herausforderung fallen mir auch wieder neue Wörter ein, Schimpfwörter und Flüche, die ein Lehrer nicht unbedingt an seine Schüler weitergeben sollte.
Schließlich ebbt der Sturm ab. Zugleich ist von hoch oben ein seltsames Flöten zu hören. Offenbar erzeugt die Konstruktion über uns, die immer noch eiskalten Luftwirbeln ausgesetzt ist, ihre eigenen Geräusche, nur hat der Wind sie bislang übertönt. Während der letzten Minuten sind kleine weißliche Flocken auf uns niedergefallen, Schnee , wie mir jetzt klar wird. Leise rieselt der Schnee.
Schließlich rappeln wir uns hoch, um wieder loszuziehen. Den Anfang macht Pushingar, wir anderen folgen. Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung wir gehen – hoffentlich vorwärts! –, und vermute, dass es auch die Kleine nicht weiß. Vielleicht wissen Pushingar und die beiden anderen mehr, aber sie reden nicht, sondern laufen einfach voraus.
Derweil kühlt der Boden noch weiter ab, falls das überhaupt möglich ist, und es fängt alles wieder von vorn an, die gleiche Scheiße wie zuvor. Der reine Luxus, sich jetzt noch irgendwelche komplizierten Fragen zu stellen, es geht nur um die Befriedigung der niedrigsten Grundbedürfnisse: eine Wärmequelle finden, am Leben bleiben, nach Nahrung Ausschau halten. Und das ist schon frustrierend genug.
Nach minutenlangem Rennen (vielleicht sind auch nur Sekunden verstrichen) taucht irgendetwas vor uns auf, das sich als Wand entpuppt. Eine Wand, die in weitem Bogen um den Boden herumführt, ihn umkreist , so wie auch die Röhre und der Tunnel mit dem Flusslauf etwas umkreist haben, nur sind in diese Wand Luken mit normalen, länglichen Türen eingelassen, die so hoch
sind, dass ich bequem hindurchspazieren könnte. Und eine dieser Türen steht offen.
»Vorwärts!«, ruft die Kleine begeistert.
Nachdem wir nacheinander die Luke durchquert haben, gelangen wir in einen Korridor, genau wie zu Beginn unserer Expedition. Die Wand gegenüber weist keine Öffnungen auf, also deutet Satmonk nach rechts, wo der Gang eine Biegung macht, und wir alle rennen ihm hinterher. Genauer gesagt stolpere ich ihm hinterher, denn in meinem Kopf dreht sich alles, und mein Herz rast. Ich bin fast am Ende meiner Kräfte.
Diesmal schneiden uns keine zufallenden Schotts den Rückweg ab. Es dauert nicht lange, da fallen mir Lumpen auf dem Boden auf,
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