Das Schiff - Roman
hat ein Bein um einen Liegesessel geschlungen, um Halt zu finden, während er eine Kiste von irgendeiner zähen Klebemasse befreit. Als der Deckel auffliegt, tiriliert er wie ein Vögelchen und hält uns die Kiste vor die Augen. Großzügig bietet er uns an, seine Entdeckung mit ihm zu teilen. Von meinem Standort aus kann ich nichts erkennen, aber die anderen beeilen sich, in seine Kugel hinüberzuschweben, während ich mal wieder der Letzte bin, der sich der Gruppe anschließt.
Immerhin hat die Kleine es geschafft, einen großen grauen Beutel für mich zu reservieren. Die anderen Beutel aus der Kiste haben die anderen nämlich schon unter sich aufgeteilt, frei nach der Devise »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«.
»Sag einfach Danke«, fordert mich die Kleine auf, während sie die eigene Beute fest an sich drückt. Alle Beutel sind mit einem Kordelzug verschlossen. Als ich die Schleife entknote …
… entdecke ich darin ein dickes bräunliches Kuchenstück, etwa zehn Zentimeter lang und fünf Zentimeter
hoch und breit. Der große Brocken riecht nach Frucht und Fisch. Was eine Frucht ist, weiß ich. Auch die Blasen ringsum erinnern irgendwie an Früchte, an Weintrauben. Deren Geschmack kenne ich – in der Traumzeit haben wir viele Früchte gegessen. Schwieriger ist es mit dem Fisch. Ich bin mir nicht sicher, was ein Fisch ist, auch wenn ich vor meinem inneren Auge Meere sehen kann und silberne Geschöpfe, die sich im Wasser tummeln. Was soll’s?! Ich beiße in den Brocken hinein, und es ist mir dabei verdammt egal, wie er riecht. Außerdem entdecke ich in dem Beutel ein schwabbelndes ovales Gebilde von Kopfgröße. Ein Wasserbehälter? Hoffentlich, denn mein Mund ist voller Krümel, die ich nicht schlucken kann, ohne zu würgen. Der Kuchen ist wirklich sehr trocken. Nachdem die Kleine mir gezeigt hat, wie ich das ovale Gebilde an den Mund halten und dabei quetschen muss, schießt sofort Flüssigkeit heraus, quer über mein Gesicht. Es ist tatsächlich Wasser! Etwas zwei Liter Wasser, aber fast ohne Geschmack.
»Trink nicht alles auf einmal, und iss nicht den ganzen Kuchen auf einmal auf!«, ermahnt sie mich.
»Danke.«
Picker nickt mir zu. Auch seine Backen sind vollgestopft.
»Er sieht wie ein Eichhörnchen aus«, sage ich, muss lachen und verspritze dabei feuchte Kuchenkrümel.
»Was ist Eichhörnchen?«, fragt Picker im üblichen Singsang. Er kann sogar beim Essen reden!
Ich deute auf meine mümmelnden Backen, worauf wir alle lachen, während wir gleichzeitig essen und
trinken. Mein brauner Brocken ist zwar sehr trocken, schmeckt aber wenigstens leicht süßlich. Ich kann die Nahrung und das Wasser in meinem Blut geradezu spüren . Das ist herrlich und zugleich seltsam: als wäre ich nur eine leere Hülle, die jetzt Flüssigkeit und Energie speichert.
Schließlich lassen wir uns auf die Liegesessel sinken und gurten uns daran fest. Durch die mit Staub überzogene Glaswand mustere ich den verwesten Körper in der benachbarten Kugel.
»Irgendjemand, der später gestorben ist, muss all das Zeug hierhergeschafft haben«, sinniert die Kleine. »Die Kleidung sollten wir mitnehmen. Selbst die der toten Frau. Die Sachen passen bestimmt in einen dieser Beutel.«
»Woher stammt dieses Zeug überhaupt?«, frage ich. »Ich meine, wo holt man sich hier Kleidung und gibt sie später wieder zum Reinigen ab?«
»Mach dir darüber keinen Kopf«, erwidert die Kleine. »All das ergibt erst dann einen Sinn, wenn du dein Buch findest. Lass uns jetzt schlafen.«
Satmonk schläft bereits. Offenbar hat niemand vor, Wache zu halten. Eigentlich will ich gar nicht schlafen, aber mir bleibt kaum eine andere Wahl. Meine Augenlider sind das Einzige an mir, das Schwere hat.
Leider.
Denn das Schlafen stellt sich als Riesenfehler heraus.
Eingebungen im Schlaf
J etzt haben Teile meines Gehirns endlich Zeit, absurde Fragen zu stellen, während der Körper eine Bestandsaufnahme seiner Beschädigungen vornimmt und Beschwerden beim unfähigen Management anmeldet. Der Schlaf entwickelt sich zu einem Dahindümpeln in trüben Gewässern, gestört von starkem Juckreiz und heftigen Schmerzen, ohne dass ich davon aufwache. Und die ganze Zeit über bedrängen mich jede Menge ungelöster Fragen.
Ein Teil von mir meint, es müsse leicht sein, in die Traumzeit zurückzukehren, und ist sauer, als das nicht geschieht – jedenfalls nicht so wie gewünscht. Offensichtlich ist die Traumzeit zur Realität geworden, denn das, was ich gerade erlebt
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