Das Schiff - Roman
zurückkehren, um mich zu holen. Ich weiß zwar nicht, zu welchem Körper dieser Arm gehört, aber intuitiv ist mir eines klar: Diese Kreatur genießt
es, Lebewesen zu quälen und zum Schreien zu bringen.
Gleich darauf vernehme ich ein Stöhnen, das weder nach dem Mädchen noch nach Picker klingt. Es war Picker, der vorhin so laut geheult und gezwitschert hat. Möglich, dass es Pickers Blut ist, das an der Glasscheibe klebt.
Draußen wird immer noch gekämpft. Als der rötliche Arm zurückschwingt, hat er dunkle Haut in den Klauen und schleudert das Opfer mit solcher Gewalt gegen die Seifenblase, dass die ganze Blasengruppe vibriert und ins Schwanken gerät.
Ich gleite hinter dem Liegesessel hervor, halte mich erneut am Gurt fest, schlängle mich am Boden entlang auf die Öffnung vor meinem Kopf zu und blicke nach unten. Wegen der von der Schiffsrotation erzeugten Schwere liegt der Eingang jetzt unter mir und ist nach außenbord gerichtet. Soll ich mich einfach durch die Öffnung zwängen und darauf setzen, dass der stachelige Arm zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt ist, um mich abzufangen? Ich kann nur hoffen, dass nicht noch weitere dieser Monster da draußen lauern, womöglich ein ganzes Rudel …
Doch ehe ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, schieben sich Schatten vor das Licht, das von außen hereindringt. Mit einem Knirschen zwängt sich ein zusammengekrümmtes Lebewesen durch die Öffnung, streckt danach die Füße und den Arm in meine Richtung aus, ballt die Hand zu einer Faust und trifft damit beinahe meine Nase.
Während ich mich zur Seite rolle und die Füße gegen den Liegesessel stemme, sehe ich das dunkle Gesicht des Opfers einen entsetzlichen Moment lang unmittelbar vor mir, Pushingars Gesicht. Wie ein Pfropfen versperrt er die Öffnung und sieht mich direkt an. Doch er kämpft bereits mit dem Tod und erkennt mich nicht mehr, vielleicht ist ihm mittlerweile auch alles egal. Während sein Mund erschlafft und der Kiefer herunterklappt, zittern seine Augenlider ein letztes Mal und schließen sich gleich darauf.
Der Arm des Monsters und die Schatten vor der Scheibe haben sich derweil zurückgezogen, denn auch die Monster sind inzwischen der Schwere ausgesetzt, die uns im Gegenuhrzeigersinn nach außenbord zerrt. Nur ich sitze nach wie vor in der Seifenblase fest, wo Pushingar den Eingang/Ausgang blockiert. Eigentlich das Beste, was mir passieren konnte … Als ich links nach binnenbord – nach oben – blicke, merke ich, dass der kleinere Eingang zu den anderen Seifenblasen nicht belagert wird. Er ist gerade so breit, dass jemand von meiner Größe oder auch von der des Mädchens hindurchpasst. Zu eng, hoffe ich, für das Monster mit dem stacheligen Arm.
Als die Rotation zunimmt, wird der eingeklemmte Pushingar aus der Öffnung gezerrt. Zuerst schwingt der Arm des Leichnams frei durch die Luft, dann fällt der ganze Körper nach draußen. Durch die verschmierten Glasscheiben verfolge ich, wie er sich weiter und weiter entfernt und schließlich krachend auf der Brücke landet. Bemerke dabei, dass Pushingars
Bauch aufgeschlitzt ist und seine Eingeweide herausquellen.
Das Stadium der Angst liegt längst hinter mir, fatalistisch sehe ich meinem Tod entgegen. Schließlich stand der Ausgang dieses Spiels von Anfang an fest. Im Grunde bestehe ich jetzt nur noch aus zwei Augen, die auf einem Stiel sitzen und lose mit einem Gehirn, Händen und Beinen verbunden sind.
Kurz bevor die Beschleunigung ihr Maximum erreicht, krabbele ich auf die obere Öffnung zu und krieche in die benachbarte Seifenblase – in diejenige, in der die Kleine geschlafen hat –, doch jetzt ist sie leer. Wenigstens kann ich hier kein Blut entdecken, aber ich finde den grauen Beutel des Mädchens und verstaue dessen Inhalt hastig in meinem Proviantsack: eine halbvolle Wasserflasche, den kümmerlichen Rest eines »Kuchenstücks« oder Nährriegels. Danach haste ich zurück in meine Seifenblase und verschwinde durch die Öffnung, die Pushingar bis eben blockiert hat. Einen Moment lang halte ich mich dort noch mit den Händen fest und lasse mich herunterbaumeln, während der Beutel vor mir an der Hüfte schwingt, dann löse ich mich von meinem Refugium, denn mir bleibt ja gar nichts anderes übrig, als mich fallen zu lassen.
Doch das Schiff rotiert inzwischen mit maximaler Stärke, und ich merke zu meinem Entsetzen, dass ich meinen Landepunkt falsch berechnet habe und Gefahr laufe, über die Brücke hinauszusegeln.
Das war
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