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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Tien an. Ich schrie: »Hau ab! Hau ab!«
    Dann wurde ich zur Seite gedrängt, der Kreis bewegte sich weiter. Ich spuckte noch einmal, Tien in den Rücken.
    Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so ekelhaft gefühlt.
    Das bedeutete es also, ein Phag zu sein?
    Mit einer Schlinge um den Hals dazustehen, wenn frech und schamlos Lügen über dich verbreitet, dir die Worte im Munde umgedreht werden und du jeglicher Sünden bezichtigt wirst – das hieß also auch, »ein Phag zu sein«?
    Angespuckt durch eine schreiende Menschenmenge zu laufen und dabei an fremder Spucke fast zu ersticken?
    Einem Freund ins Gesicht zu spucken?
    Und wenn es Stasj gewesen wäre?
    Ich wollte niemals ein Phag sein!
    Und ich hasste alle diejenigen, die die Phagen zu so etwas zwangen!
    Ich verstand alles, ich war nicht mehr klein. Auch der Imperator war schuld, da er seinen Ratgebern zu sehr vertraute und nicht gegen Ungerechtigkeiten wie bei uns auf Karijer kämpfte.
    Vielleicht wollte Inna Snow auch wirklich nur Gutes für alle Menschen und log deshalb.
    Aber das, was sie soeben gemacht hatte – das war keine Barmherzigkeit!
    Das war niederträchtig.
    Denn sie wusste genau: Man würde Tien anspucken. Es ging ihr nicht um seine Hinrichtung, weil die Hinrichtung eines einzelnen Menschen nicht ins Gewicht fällt, wenn Planeten gegeneinander kämpfen. Sie wollte die Phagen, das Imperium und den Imperator erniedrigen.
    Als sie Tien einen Hund des Imperators schimpfte, wollte sie Krieg. Aus einem bestimmten Grund brauchte sie einen heißen Krieg! Und zwar einen Krieg, bei dem das Imperium als Aggressor gelten würde!
    Warum nur?
    »Tikkirej!« Lion fasste mich am Ellenbogen. »Ich hatte dich v-verloren!«
    Er zitterte, als ob er krank wäre. Die Menschenmenge um uns herum kochte, aber Lion hielt sich an mir fest und sah mich mit Grauen an.
    »Hast du es jetzt verstanden? Ja? Hast du es verstanden?«, schrie er.
    »Ich habe es verstanden!«, erwiderte ich. »Lion, beruhige dich! Es ist schon alles vorbei!«
    Ja, wir hatten es überstanden. Für Tien war es erst der Anfang. Am Abend sahen wir in den Nachrichten, wie er zu seinem Raumschiff kam – in einem lebenden Korridor, in einem Kreis der Leere, in einem spuckenden menschlichen Ring.
    Aber jetzt fassten wir uns fest an. Wir wurden in der Menge hin und her gestoßen, einer freundlichen, aufmerksamen, rücksichtsvollen Menge, in der sich alle bemühten, zwei kleine Jungs zu unterstützen, die man sonst zertrampelt hätte.

Kapitel 6
    Auf dem Heimweg zum College beruhigte sich Lion ein wenig. Er schimpfte allerdings pausenlos.
    »Hast du bemerkt, wie sie die Menge aufgehetzt hat? Und was sie mit uns angestellt hat? Sogar du hast ihr zugejubelt, ich habe es gehört!«
    »Sie hat auf eine besondere Weise gesprochen«, erklärte ich. »Die Phagen können das auch... Wenn du Befehle gibst und man sich dir unterordnet. Ich glaube aber nicht, dass die Phagen gleich eine riesige Menschenmenge beeinflussen können. Und auf Snow hat es überhaupt nicht gewirkt... Ist dir aufgefallen, dass Tien versucht hat, sie dazu zu bringen, ihren Schleier zu lüften?«
    »Ha, die Menge!«, fauchte Lion verächtlich. »Hirnamputierte!«
    »Ich gehöre nicht zu den Hirnamputierten!«, berichtigte ich. »Und du auch nicht. Aber wir haben mitgejubelt.«
    Neben einem Müllkübel fand Lion eine leere Bierdose. Er bückte sich, als ob er sie aufheben wollte, überlegte es sich jedoch anders, schaute sich sichernd um, zog eine Grimasse und stieß mit voller Kraft die Bierdose weg. Sie schepperte so unangenehm, wie nur leere Plastikbehälter scheppern können.
    »Wie kindisch«, bemerkte ich.
    Ich schritt aus, Hände in den Taschen, und hatte keine Lust, Bierdosen wegzukicken, Flaschen zu zerschlagen oder die Präsidentin Inna Snow zu beschimpfen.
    Das war dumm, das war auf dem Niveau von Lions kleinem Bruder, wenn er ein Auto zerstampfte. Wir aber waren nun mal keine Kinder, denen die Föderation des Inej und deren Präsidentin einfach nicht gefiel. Wir waren Aufklärer, Helfer der Phagen.
    »Der Imperator muss in den Krieg ziehen«, sagte Lion plötzlich. Er sah mich an und sein Gesicht war wie versteinert. »Es bleibt ihm nichts anderes übrig. Alle werden ihr folgen. Es wird zum Kampf kommen.«
    »Und deine Eltern?«, wollte ich wissen.
    Lion blinzelte und kam ganz durcheinander.
    »Sie werden doch für Inej kämpfen«, erinnerte ich ihn. »Für Inna Snow. Dein Brüderchen wird kämpfen, dein Schwesterchen auch. Und dein

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