Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
und drückte die Arme fest an die Seiten.
»Ich bin … ein Mann …»
Igor rührte sich nicht vom Fleck.
»Ich werde einen Mann aus dir machenl«
»Okay«, sagte ich zu Igor, »lass ihn in Ruhe.«
    Igor ging aus der Küche. Ich goss mir noch einen Rum ein. Es war ein schauerliches Zeug, aber es gab ja nichts anderes.
    Igor kam wieder herein. Er hatte eine Knarre in der Hand. Eine echte diesmal. Es war ein alter
sechs schüssiger Trommelrevolver.
»Wir werden jetzt Russisches Roulette spielen«, verkündete er.
»Von wegen«, sagte ich.
    »Ich mach mit, Igor«, sagte Baldy. »Ich mach mit! Ich bin ein Mann!«
    »Also gut«, sagte Igor. »Es ist nur eine Patrone in der Trommel. Ich lasse jetzt die Trommel rotieren, und dann gebe ich dir die Waffe in die Hand.«
    Er ließ die Trommel rotieren und hielt Baldy den Revolver hin. Baldy nahm ihn und hielt sich die Mündung an die Schläfe. »Ich bin ein Mann … Ich bin ein Mann … Ich tu es!«
    Er fing wieder an zu flennen. »Ich tu es … Ich bin ein Mann…«
    Er ließ die Mündung des Revolvers von seiner Schläfe abrutschen, bis der Lauf an seinem Kopf vorbeizeigte. Dann drückte er ab. Es gab ein trockenes Klicken.
    Igor nahm ihm die Waffe ab, ließ die Trommel rotieren und drückte mir das Ding in die Hand.
Ich gab es ihm zurück.
»Du zuerst.«
    Igor drehte die Trommel, hielt die Waffe ans Licht und sah durch die Kammern. Dann hielt er sich den Revolver an die Schläfe und drückte ab. Es klickte.
    »So ein Schmäh«, sagte ich. »Du hast erst nachgesehen, wo die Patrone steckt.«
    Igor ließ wieder die Trommel rotieren und gab mir die Waffe in die Hand. »Jetzt du …« Ich gab sie ihm zurück. »Schieb dir das Ding irgendwo rein«, sagte ich zu ihm.
    Ich ging an den Herd und goss mir noch einen Rum ein. Da gab es einen Knall. Ich sah nach unten. Der Küchenboden hatte dicht neben meinem Fuß ein Loch. Ich drehte mich um.
    »Wenn du mit der Knarre noch einmal auf mich anlegst, mach ich dich kalt, Igor.« »So?«
    »Ja!«
    Er stand da und lächelte mich an. Langsam hob er den Revolver. Ich wartete ab. Dann ließ er ihn wieder sinken. Damit war der Abend so ziemlich gelaufen. Wir gingen hinaus zum Wagen, und Igor fuhr uns nach Hause. Doch unterwegs hielten wir erst noch am Westlake Park, mieteten ein Ruderboot und fuhren auf den See hinaus, um den restlichen Rum zu trinken. Nach dem letzten Schluck lud Igor seinen Revolver und durchlöcherte den Boden des Kahns. Wir waren knapp vierzig Meter vom Ufer und mussten an Land schwimmen … Es war spät, als ich nach Hause kam. Ich zwängte mich durch den alten Vogelbeerstrauch und stieg durchs Fenster in mein Zimmer, zog mich aus und legte mich ins Bett. Nebenan schnarchte mein Vater.

    53

    Ich war auf dem Nachhauseweg vom College und ging die Westview hinunter. Bücher hatte ich nie dabei. Ich hörte mir an, was in den Kursen vorgetragen wurde, und wenn es einen Test gab, riet ich eben die Antworten. Ich musste nie büffeln. Für eine »B« reichte es jederzeit. Während ich jetzt auf der Straße bergab ging, lief ich geradewegs in ein riesiges Spinnennetz. Das passierte mir ständig. Ich blieb stehen, pflückte mir das klebrige Gewebe von den Kleidern und suchte nach der Spinne. Endlich sah ich sie: Ein großes, fettes, schwarzes Scheißvieh. Ich zertrat sie. Auf Spinnen hatte ich schon lange einen Hass. Wenn ich mal in die Hölle kam, würde ich von einer Spinne gefressen werden.
    In meinem ganzen Leben war ich in dieser Gegend nur in Spinnweben gelaufen, von Amseln angefallen worden und hatte obendrein noch meinen Vater ertragen müssen. Alles war unendlich öde, trübselig und ausweglos. Selbst das Wetter war eine unverschämte Zumutung. Entweder herrschte wochenlang eine unerträgliche Hitze, oder es regnete, und wenn es regnete, dann jedes Mal fünf oder sechs Tage an einem Stück. Das Wasser schwappte über den Rasen und lief in die Häuser. Wer hier die Kanalisation entworfen hatte, war für seine Unfähigkeit wahrscheinlich viel zu gut bezahlt worden.
    Meine Aussichten waren noch genauso trüb wie am Tag meiner Geburt. Der einzige Unterschied war, dass ich mich jetzt ab und zu betrinken konnte, wenn auch nicht oft genug. Trinken war das einzige, was einen Mann davor bewahrte, sich für alle Zeiten dumpf und nutzlos zu fühlen. Alles andere war nur ein ermüdend gleichförmiger Trott und Verschleiß. Nirgends etwas, das auch nur im entferntesten interessant war. Die Menschen waren alle zugeknöpft und

Weitere Kostenlose Bücher