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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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sprachen den Eid. Nach den Worten »Ich schwöre Treue …« bewegte ich nur noch die Lippen. Ich sagte nicht, wem oder was ich die Treue schwor.
    Wir setzten uns. Larry blieb hinter dem Schreibtisch stehen und erklärte uns, dass dies die erste Zusammenkunft sei, und deshalb werde er den Vorsitz übernehmen. Wenn wir uns besser kennen gelernt hatten, konnten wir einen Vorsitzenden wählen. Aber bis dahin … »Wir haben es heute in Amerika mit einer zweifachen Bedrohung unserer Freiheit zu tun. Mit der Wühlarbeit der Kommunisten und mit einem Umsturz der Schwarzen. In den meisten Fällen arbeiten sie Hand in Hand. Als wahre Amerikaner werden wir uns dieser Drohung entgegenstellen. Dazu sind wir hier versammelt. Es ist schon so weit gekommen, daß kein anständiges weißes Mädchen mehr auf die Straße kann, ohne von einem Schwarzen belästigt zu werden!« Igor sprang auf. »Wir killen sie alle!«
    »Die Kommunisten wollen eine Umverteilung des Wohlstands, für den wir so lange gearbeitet haben, für den sich unsere Väter geplagt haben und ihre Väter vor ihnen. Und wem wollen die
    Kommunisten unser Geld geben? Jedem Schwarzen, Homo, Strauchdieb, Mörder und
Kinderschänder, der unsere Straßen unsicher macht!«
»Wir legen sie alle um!«
»Die müssen gestoppt werden!«
»Wir bewaffnen uns!«
    »Ja, wir werden uns bewaffnen! Und wir werden hier regelmäßig zusammenkommen und einen Plan aufstellen zur Rettung Amerikas!«
    Alle johlten Beifall. Zwei oder drei brüllten »Heil Hitler!« Dann gingen wir zum gemütlichen Teil des Abends über.
    Larry verteilte eisgekühltes Bier in Dosen, und wir standen in kleinen Gruppen zusammen und unterhielten uns. Es wurde nicht viel von Bedeutung gesagt. Wir waren uns nur alle einig, dass wir uns dringend im Schießen üben mussten, damit wir mit unseren Waffen richtig umgehen konnten, wenn es soweit sein würde.
    Anschließend fuhren Baldy und ich mit Igor nach Hause. Auch Igors Eltern waren gerade weg. Er stellte eine Bratpfanne auf den Gasherd und ließ vier Würfel Butter schmelzen. Dann setzte er einen großen Topf auf und goss den Rum hinein.
    »Jetzt zeig ich euch mal, was Männer trinken.« Er sah Baldy an. »Bist du ein Mann?« Baldy hatte schon einen sitzen. Er nahm Haltung an und legte die Hände an die Hosennaht. »JA, ICH BIN EIN MANN!« Dann kamen ihm die Tränen. »ICH BIN EIN MANN!« Er riss sich zusammen und schrie »HEIL HITLER!«, und die Tränen kullerten ihm über die Backen. Igor wandte sich an mich. »Und du? Bist du ein Mann?« »Keine Ahnung. Ist der Rum bald fertig?«
    »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen soll. Ich bin mir nicht sicher, dass du einer von uns bist. Bist
du ein Spion? Ein feindlicher Agent?«
»Nein.«
»Bist du einer von uns?«
»Weiß ich nicht. Ich weiß nur eins.«
»Nämlich?«
    »Dass ich dich nicht leiden kann. Ist der Rum noch nicht fertig?«
    »Siehst du?« sagte Baldy. »Ich hab dir ja gesagt, er ist ‘ne harte Nuss.«
    »Eh der Abend vorbei ist«, sagte Igor, »werden wir wissen, wer von uns am härtesten ist.« Er goss die zerlassene Butter in den Rum, drehte die Flamme aus und rührte um. Ich mochte ihn nicht, aber er war auf jeden Fall anders als die anderen, und das gefiel mir. Er holte drei große blaue Henkeltassen mit kyrillischen Buchstaben darauf und goß den gebutterten Rum ein. »Okay«, sagte er, »trink!«
    »Scheiße, wird auch langsam Zeit«, sagte ich und ließ es mir durch die Kehle rinnen. Das Zeug war ein bißchen zu heiß, und es stank.
    Ich beobachtete Igor, wie er seine Portion trank. Über dem Rand der Tasse sah ich seine kleinen Knopfaugen. Er brachte es runter, aber aus seinem kleinen blöden Mund lief ihm links und rechts ein goldgelbes Rinnsal. Er musterte jetzt Baldy, der dastand und in seine Tasse starrte. Ich wusste von früher, dass Baldy einfach keinen natürlichen Hang zum Trinken hatte. Igor starrte ihn strafend an. »Trink schon!«
    »Ja, Igor. Ja …«
    Baldy hob die Tasse zum Mund. Es fiel ihm sichtlich schwer. Der Rum war ihm zu heiß, und
er mochte den Geschmack nicht. Die Hälfte lief ihm aus dem Mund und tropfte ihm vom Kinn
auf das Hemd. Seine leere Tasse fiel auf den Küchenboden.
Igor baute sich vor ihm auf.
»Du bist kein Mann!«
»Doch, Igor! Ich bin ein Mann!«
»Du lügst!«
Igor schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht, und als Baldys Kopf zur Seite zuckte,
brachte er ihn mit einem Schlag auf die andere Backe wieder auf Vordermann. Baldy stand in
steifer Habt-acht-Stellung da

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