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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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verstreut, meine schmutzige und saubere Wäsche, der aufgesprungene Koffer, Socken, Hemden, Schlafanzug, ein alter Bademantel, alles durch die Gegend geworfen, teils auf dem Rasen und teils auf der Straße. Und ich sah meine Manuskripte im Wind davon wehen. Sie lagen im Rinnstein und überall.
    Meine Mutter lief die Einfahrt zum Haus hoch, und ich schrie hinter ihr her, damit er es drinnen hören konnte: »SAG IHM, ER SOLL HIER RAUSKOMMEN, DANN HAU ICH IHM SEINE GOTTVERDAMMTE RÜBE RUNTER!«
    Um die Manuskripte kümmerte ich mich zuerst. Dass er das getan hatte, war wirklich ein Schlag unter die Gürtellinie. Sie waren das einzige, worauf er kein Recht hatte. Während ich eine Seite nach der anderen aufhob, aus dem Rinnstein, vom Rasen und von der Straße, fühlte ich mich langsam wieder besser. Ich suchte zusammen, was ich finden konnte, legte die Seiten in den Koffer und beschwerte sie mit einem Schuh. Dann rettete ich die Schreibmaschine. Sie war aus ihrem Koffer gefallen, schien aber noch ganz zu sein. Ich sah mir meine Klamotten an, die ringsum verstreut lagen. Die schmutzige Wäsche ließ ich liegen. Auch den Schlafanzug — er war ein abgelegtes Stück von ihm. Ansonsten gab es nicht viel einzupacken. Ich machte den Koffer zu, hob ihn auf, nahm die Schreibmaschine in die andere Hand und ging weg. Hinter dem Fenstervorhang sah ich zwei Gesichter, die mir nachschauten. Aber das vergaß ich schnell. Ich ging auf der Long-wood zurück, über die 21. Straße und wieder die alte Westview hinauf. Ich fühlte mich nicht viel anders als sonst, weder froh gestimmt noch niedergeschlagen. Es schien alles nur weiterzugehen wie gewohnt. Ich würde in eine Bahn der Linie »W« steigen, einen Fahrschein lösen und irgendwohin in die Innenstadt fahren.

    54

    Ich fand ein Zimmer in der Temple Street, im Filipino-Viertel. Es lag im ersten Obergeschoß und kostete $ 3.50 in der Woche. Die Vermieterin war eine Blondine in mittleren Jahren. Ich zahlte ihr die Miete für eine Woche im voraus. Toilette und Bad waren am Ende des Flurs, aber im Zimmer gab es ein Waschbecken, in das man reinpinkeln konnte.
    An meinem ersten Abend entdeckte ich unten eine Bar, gleich rechts neben dem Hauseingang.
Das gefiel mir. Ich musste nur die Treppe hochsteigen, und schon war ich zuhause. Die Bar
war voll von kleinen dunkelhäutigen Männern, aber die störten mich nicht. Ich wusste, was
man sich von den Filipinos erzählte. Sie hatten es auf weiße Mädchen abgesehen, besonders
auf Blondinen; sie hatten immer ein Stilett bei sich; und da sie alle dieselbe Größe hatten,
legten immer sieben von ihnen zusammen und kauften einen teuren Anzug mit allem Drum
und Dran, und den durfte dann jeder an einem Abend in der Woche tragen. George Raft hatte
irgendwo gesagt, die Filipinos bestimmten den Trend der Mode. Sie standen an Straßenecken
herum und schlenkerten dünne Goldkettchen, die achtzehn oder zwanzig Zentimeter lang
waren - damit gab jeder an, wie lang sein Penis war.
Auch der Barkeeper war ein Filipino.
»Neu hier, was?« fragte er.
»Ich wohne da oben im ersten Stock. Ich bin Student. «
»Kein Kredit.«
Ich legte einige Münzen auf den Tresen.
»Gib mir ein Eastside.«
Er brachte mir eine Flasche.
»Wo kann man hier ein Mädchen auftreiben?« fragte ich.
Er nahm einen Teil der Münzen an sich.
»Keine Ahnung«, sagte er und ging zur Kasse.
    In dieser ersten Nacht war ich der letzte, der die Bar verließ. Niemand wollte etwas von mir. Ich sah einige Blondinen mit Filipinos weggehen. Die Männer waren stille Trinker. Sie saßen in kleinen Gruppen an den Tischen, steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich, und ab und zu wurde leise gelacht. Ich mochte sie. Als die Bar schloss und ich aufstand, um zu gehen, sagte der Barkeeper: »Bedanke mich.« Das war in weißen Bars nicht üblich. Mir war es jedenfalls noch nie passiert.
    Die neue Situation gefiel mir. Jetzt musste ich nur noch zu Geld kommen.
    Ich beschloss, weiter aufs College zu gehen. Das würde mir tagsüber etwas zu tun geben. Mein Freund Becker war ausgestiegen. Es gab keinen, von dem ich etwas hielt, bis auf den Dozenten in Anthropologie, der als Kommunist bekannt war. Er lehrte nicht viel Anthropologie. Er war ein korpulenter Mann mit lässigen Umgangsformen. Ein sympathischer Mensch.
    »Also jetzt sag ich euch mal, wie ihr ein Porter-house-Steak braten müsst«, verkündete er der Klasse. »Ihr lasst die Pfanne glühend heiß werden, trinkt ein Glas Whisky und streut eine

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