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Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend

Titel: Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Kreuz, wollte auch gar
nicht mehr gut Freund mit ihnen sein. Da kam Gene angerannt.
»Hey, Henry, komm mal!«
»Was ist?«
»Komm schon!«
    Gene rannte los. Ich hinterher. Wir liefen die Einfahrt der Gibsons hoch und nach hinten auf den Hof. Die Gibsons hatten eine hohe Backsteinmauer um ihren Hof. »Schau! Er hat die Katze da in der Ecke! Er wird sie killen!«
    In einer Ecke kauerte eine kleine weiße Katze. Sie konnte nicht nach oben über die Mauer, und unten kam sie auch nicht mehr weg. Sie machte einen Buckel und fauchte und zeigte ihre Krallen. Aber sie war viel zu klein. Chucks Bulldogge, Barney, knurrte und schob sich immer näher heran. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß sie die Katze da hingesetzt und dann den Hund geholt hatten. Ich merkte es an der Art, wie Chuck und Eddie und Gene dreinschauten - sie hatten ein schlechtes Gewissen. »Ihr habt das so hingedreht«, sagte ich.
    »Nein«, sagte Chuck. »Die Katze ist selber schuld. Sie ist hier reingekommen. Soll sie doch
sehn, wie sie sich wieder freikämpft.«
»Ihr Scheißkerle«, sagte ich. »Ich hasse euch.«
»Barney wird diese Katze killen«, sagte Gene.
    »Barney reißt sie in Fetzen«, sagte Eddie. »Er hat Angst vor ihren Krallen, aber wenn er sie zu packen kriegt, ist sie erledigt.«
    Barney war eine große braune Bulldogge mit triefenden Lefzen. Er war blöde und fett und hatte dumpfe braune Augen. Er knurrte und schob sich mit gesträubten Nackenhaaren zentimeterweise vorwärts. Am liebsten hätte ich ihn in seinen blöden Arsch getreten, aber ich mußte damit rechnen, daß er mir das Bein abriß. Er war ganz wild darauf, etwas zu killen. Die weiße Katze war noch nicht einmal ausgewachsen. Sie fauchte und drückte sich an die Mauer. Eine wunderschöne Kreatur. So rein.
    Der Hund schob sich immer näher. Warum brauchten die Burschen so etwas? Hier ging es nicht um Mut, es war nur ein dreckiges abgekartetes Spiel. Wo waren die Erwachsenen? Die Respektspersonen? Wenn es darum ging, mir die Leviten zu lesen, waren sie immer zur Stelle. Wo waren sie jetzt?
    Ich überlegte, ob ich mir die Katze schnappen und mit ihr wegrennen sollte, aber ich hatte nicht den Nerv dazu. Ich hatte Angst, daß mich der Hund angreifen würde. Daß ich nicht den Mut aufbrachte, das Notwendige zu tun, machte mich ganz krank. Ich ekelte mich vor mir selbst. Ich war ein Schwächling. Ich wollte nicht, daß es passierte, und doch konnte ich mich nicht dazu bringen, es zu verhindern.
    »Chuck«, sagte ich, »bitte laß die Katze gehn. Ruf deinen Hund zurück.« Chuck gab keine Antwort. Er starrte nur das Schauspiel an. Dann sagte er: »Barney, schnapp sie! Pack die Katze!«
    Barney ging auf sie los. Plötzlich machte die Katze einen Satz. Ein wütendes Fauchen, ein
Aufblitzen von weißem Fell und Krallen und Zähnen. Barney wich zurück. Die Katze drückte
sich wieder an die Mauer.
»Los, Barney! Pack sie!« sagte Chuck noch einmal.
»Verdammt nochmal, hör auf!« warnte ich ihn.
»Nimm dich in acht, was du zu mir sagst«, kam es von Chuck.
Barney schob sich wieder nach vorn.
»Ihr Typen habt das so hingedreht«, sagte ich.
    Hinter uns hörte ich ein Fenster aufgehen und sah mich um. Der alte Mr. Gibson stand an seinem Schlafzimmerfenster und sah zu. Er wollte genau wie die Jungs, daß es die Katze erwischte. Warum nur?
    Mr. Gibson war unser Briefträger. Er hatte ein falsches Gebiß und eine Frau, die immer im Haus blieb. Sie kam nur heraus, um den Mülleimer auszukippen.
    Sie trug immer ein Haarnetz auf dem Kopf und lief ständig in Nachthemd, Morgenrock und Hausschuhen herum.
    Jetzt sah ich, wie Mrs. Gibson in ihrer üblichen Aufmachung dazukam und sich neben ihren Mann stellte. Auch sie wollte sich das Gemetzel nicht entgehen lassen.
    Der alte Gibson hatte als einer der wenigen Männer in unserer Gegend einen Job, und doch
mußte er unbedingt sehen, wie es diese Katze erwischte. Er war genau wie Chuck, Eddie und
Gene.
Es gab zu viele von dieser Sorte.
    Die Bulldogge schob sich näher heran. Ich konnte es nicht mit ansehen. Ich schämte mich, daß ich so feige war und diese Katze einfach im Stich ließ. Natürlich war es immer noch möglich, daß sie einen Fluchtversuch unternahm. Aber ich wußte, daß sie das verhindern würden. Diese Katze hatte nicht nur eine Bulldogge gegen sich. Sie hatte es auch noch mit der Menschheit zu tun.
    Ich drehte mich um und ging weg, aus dem Hof, die Einfahrt nach vorn und die Straße
hinunter zum Haus meiner Eltern. Mein Vater stand vor

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