Das Schlimmste kommt noch oder Fast eine Jugend
und stopfte es mir in die Hemdtasche. Dann sah ich das volle Glas an, das
Stinky hatte stehen lassen.
»Wär schade um den Drink«, sagte ich.
»Soll das heißen, du willst das auch noch trinken?« fragte Lana.
»Warum nicht? Einen für unterwegs …«
Ich schluckte es runter.
»Okay, bis nächstes Mal. Hat mir sehr bei euch gefallen. «
»Gute Nacht, Hank …«
Ich ging aus der Hintertür und stieg über den regungslosen Ripper hinweg. Durch eine Gasse gelangte ich in eine Seitenstraße und bog links ab. Einige Schritte vor mir stand ein grüner Chevrolet. Als ich auf gleicher Höhe war, gaben meine Beine ein wenig nach. Ich packte den Griff der hinteren Wagentür und hielt mich daran fest. Die verdammte Tür war nicht abgeschlossen. Sie ging auf, und ich stürzte der Länge nach aufs Pflaster und schürfte mir den linken Ellbogen auf. Bei der Gelegenheit konnte ich jetzt auch sehen, dass wir Vollmond hatten.
Der Whisky war mir urplötzlich in die Knochen gefahren. Ich hatte das Gefühl, nie mehr aufstehen zu können. Aber ich musste hoch. Angeblich war ich doch ein harter Bursche. Ich versuchte es, fiel gegen die halboffene Wagentür und grapschte nach einem festen Halt. Ich bekam den Innengriff zu fassen und zog mich vollends hoch. Ich zwängte mich auf den Rücksitz und saß eine ganze Weile benommen da. Dann kam es mir hoch. Ein Schwall nach dem anderen. Es wollte gar nicht mehr aufhören, und am Ende schwamm der ganze Boden im hinteren Teil des Wagens. Ich saß noch eine Weile da und rang nach Luft.
Irgendwie gelang es mir, diese Limousine wieder zu verlassen. Ich fühlte mich nicht mehr so benebelt. Mit meinem Taschentuch wischte ich mir den Kotier von Hosenbeinen und Schuhen, so gut es ging. Ich warf die Wagentür zu und ging weiter. Jetzt musste ich nur noch eine Straßenbahn der Linie »W« erwischen. Das musste eigentlich zu schaffen sein.
War es auch. Ich fuhr bis zur Endstation, bewältigte die Westview Street und die 21. Straße, bog nach Süden ab und ging die Longwood Avenue hinunter zur Nr. 2122. Ich ging die Zufahrt zur Garage des Nachbarhauses hoch, ortete den Vogelbeerstrauch, zwängte mich hindurch und stieg durch das offene Fenster in mein Zimmer. Ich musste gut einen Liter Whisky weggesteckt haben. Ich zog mich aus und legte mich ins Bett. Mein Vater schnarchte noch so anhaltend wie vor Stunden, als ich mich davongemacht hatte, nur dass es sich jetzt noch lauter und widerwärtiger anhörte. Meinen Schlaf konnte er damit nicht stören. Wie üblich kam ich am nächsten Morgen zu Mr. Hamiltons Englischstunde genau dreißig Minuten zu spät: 7.30 Uhr war es, als ich vor der Tür des Klassenzimmers anlangte. Ich blieb einen Augenblick stehen und horchte. Sie nahmen immer noch Gilbert und Sullivan durch, und es war immer noch dasselbe Lied - von wegen »going to the sea« und »the Queen’s Navy«. Anscheinend konnte Hamilton davon nicht genug kriegen. In der Highschool hatte ich einen Englischlehrer gehabt, bei dem es auch nicht vorangegangen war. Nichts als Poe, Poe, Edgar Allan Poe.
Ich öffnete die Tür. Hamilton ging an den Plattenspieler und nahm die Nadel aus der Rille. Dann baute er sich vor der Klasse auf und verkündete: »Wenn Mr. Chinaski kommt, wissen wir immer, dass es genau 7.30 Uhr ist. Mr. Chinaski ist immer pünktlich. Das Problem ist nur, dass er nie rechtzeitig kommt.«
Er machte eine Pause und musterte die Gesichter seiner Schüler. Er strahlte eine Menge Würde aus. Dann wandte er sich an mich.
»Chinaski, es ist mir gleichgültig, ob Sie mit halbstündiger Verspätung oder überhaupt nicht zum Unterricht kommen. Ich gebe Ihnen in Englisch eine >D<.«
»Eine >D<, Mr. Hamilton?« sagte ich und beehrte ihn mit der höhnischen Grimasse, für die ich so bekannt war. »Warum nicht gleich eine >F«
»Weil man >F< zu leicht mit >Fick< assoziiert. Und Sie sind keinen Fick wert!«
Die ganze Klasse johlte und wieherte und stampfte und trampelte. Ich drehte mich um, machte die Tür hinter mir zu und ging den Korridor hinunter. Hinter mir hörte ich sie noch immer. Sie kriegten sich nicht mehr ein.
52
Der Krieg in Europa lief ausgezeichnet — für Hitler. Die meisten Studenten hatten keine besondere Meinung dazu. Im Gegensatz zu den Dozenten, die fast durchweg linksorientiert und deutschfeindlich waren. Einen rechten Flügel schien es beim Lehrkörper nicht zu geben, bis auf Mr. Glasglow in Wirtschaftslehre, doch der hielt sich sehr zurück.
Unter Intellektuellen galt es
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