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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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aus zwei Klassenzimmern. Der Unterricht wurde von einem Studienrat, der
zugleich Schulvorstand war, und seinem Vertreter, einem Reallehrer, bestritten.
Dazu kam noch ein Schneidermeister, der nebenamtlich als Pedell fungierte, und
seine Frau, der die Reinigung der Räume oblag. In dem einen Schulzimmer waren
die erste und die zweite Klasse untergebracht. In diesem Raum herrschte der
Reallehrer. Das zweite Schulzimmer nahm die dritte, vierte und fünfte Klasse
auf. Ihnen wurde die Weisheit von dem Studienrat eingetrichtert. Im Unterricht
versuchten die Lehrer, in allen Fächern, in denen es möglich war, alle zwei
oder drei Klassen zusammenzufassen. Nach der vierten oder fünften Klasse
verließen die meisten Schüler die Schule und traten in eine Lehre ein.
Höchstens einer besuchte die weiterführende Oberrealschule in Ravensburg, um
die mittlere Reife oder das Abitur zu erlangen. Diese kleinen Realschulen gab
es damals in Oberschwaben in vielen Städtchen. Sie waren für viele die einzige
weiterführende Bildungschance, denn es war damals nicht diskutabel, für Klassen
mit acht oder gar nur fünf Schülern eine eigene Studienratsstelle zu besetzen.
    Bei meinem Eintritt in die Realschule
in Isny machte ich die Entdeckung, daß ich mich in der Klasse erst einmal
durchsetzen mußte. Dies war viel schwerer als beim Eintritt in die Realschule
in Kempten. Die Gründe wurden mir erst später klar. Als ich in Kempten in die
erste Klasse der Realschule kam, war allen Schülern alles gleichermaßen fremd,
und wir schlossen uns schon aus einem gewissen Angstgefühl zu einer
Gemeinschaft zusammen, in der sich erst allmählich eine Rangordnung
herausbildete. In Isny war diese Rangordnung der Schüler bereits festgelegt,
und ich als Neuling mußte mir meinen Platz in dieser Gesellschaft erst
erkämpfen, was um so schwieriger war, als sich durch das Zusammensein von drei
Jahrgängen in einer Klasse die Rangordnung äußerst komplizierte. Mein Problem
war, wie sich der Lausbub Schöchle seinen Platz zwischen den beiden größten
Lausbuben dieser Schule sichern konnte.
    Jeder der beiden Oberlausbuben hatte
nämlich seine Streitmacht, deren einzelne Mitglieder durch den gewährten
Schutz, Drohung und Schmeichelei an ihren Führer gebunden waren. Auch die Lage
der elterlichen Wohnung spielte dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle. So
wohnte der Lausbub Nummer 1 in Neutrauchburg. Deshalb durfte es keinem Schüler
aus diesem Vorort einfallen, in das gegnerische Lager überzuwechseln, sonst
hätte er den Nachhauseweg nicht ohne Beulen überstanden. Aus geographischen
Gründen hätte ich mich deshalb dem Lausbuben Nummer 2 anschließen müssen, da
unsere Wohnung in seinem Stammesgebiet lag. Aber ich hätte das Gesicht
verloren, wenn ich mich als Angehöriger einer höheren Klasse ihm, dem Jüngeren,
unterstellt hätte.
    So war ich denn auf dem Schulhof allein
der feindlichen Horde ausgeliefert, bis der Entsatz aus Neutrauchburg angerückt
kam oder der Pedell mit einem Stecken die feindlichen Parteien
auseinandertrieb. Bald hatte ich allerlei Tricks gefunden, um der Meute zu
entgehen. So entdeckte ich zum Beispiel einen Abstieg in den Stadtbach, der
mich unbemerkt unter dessen Brücke führte. Da konnte ich bei einer Verfolgung
plötzlich verschwinden, im Rücken der Angreifer auftauchen und die gegnerische
Front aufrollen. Dieses geheimnisvolle Verschwinden und Wiederauftauchen
verschaffte mir großes Ansehen, zumal ich mein Geheimnis sorgfältig wahrte.
Dies führte dazu, daß ein Teil der gegnerischen Streitmacht zu mir übertrat und
ich meine eigene Hausmacht aufbauen konnte. Hier sammelte ich Kenntnisse und
Erkenntnisse, welche die Schule nicht zu vermitteln pflegt, die aber für mich
im Leben höchst nützlich waren.
    Nachdem ich mir so durch manche Beule
meinen Platz in der »Öffentlichkeit« erstritten hatte, kamen mir die von meiner
Mutter zugedachten häuslichen Beschäftigungen ziemlich entwürdigend vor. Daß
ich Holz und Torf aus der Bühnenkammer holen mußte, sah ich als durchaus normal
an. Brennholz hacken und sägen machte mir sogar ausgesprochen Spaß, auch das
Bohnern des Fußbodens ließ ich noch gelten, weil es Beschäftigungen waren, die
mit einem Kraftakt verbunden sind. Sehr wenig Freude machte mir dagegen das
Schuheputzen, besonders wenn ich auch die Nobeltrittchen meiner Schwester, die
in einem Pensionat die mittlere Reife und feines Benehmen verpaßt bekam,
während ihrer Ferien putzen sollte. Es war mir

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