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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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anno
1920
     
     
    Trotz der Bubenfreuden und -freiheiten
war mein Entschluß unumstößlich, nach Beendigung der Realschule eine
Gärtnerlehre zu beginnen. Meine Abneigung gegen Staubwischen und andere
häusliche Beschäftigungen war mit ein Grund, daß ich von zu Hause fort wollte.
Meine Eltern versuchten zwar, mir den Vorteil eines weiteren Schulbesuchs
klarzumachen, aber da ich auf meinem Wunsch beharrte, machten sie sich auf die
Suche nach einer Lehrstelle, die dann auch in der Gärtnerei Georg Rupflin in
Lindau-Aeschach gefunden wurde. Für damalige Verhältnisse war dieser Betrieb
sehr fortschrittlich und sein Besitzer ein wirklich weitblickender Mann, der
die Zeichen der Zeit zu deuten wußte. Seiner Unternehmungslust kam die Zeit der
Inflation entgegen, deren Gesetze er rasch erkannte. Die Lage seiner Gärtnerei
in dem Dreiländereck Deutschland-Österreich-Schweiz öffnete ihm das Tor zu dem
devisenstarken Nachbarland Schweiz, was er gar trefflich zu nutzen wußte. Diese
Gärtnerei war die einzige mit geregelter Arbeitszeit im ganzen Bezirksamt
Lindau. Die Arbeit begann um 6 Uhr und endete um 18 Uhr, am Samstag war um 13 Uhr
Schluß, der Samstagnachmittag war frei, es sei denn, man hatte Wochenenddienst,
der um 14 Uhr am Samstag begann und sonntags um 18 Uhr endete. Zum
Wochenenddienst war jeweils ein Drittel der Belegschaft eingeteilt. Da an den
Werktagen morgens und nachmittags je eine Vesperzeit von einer halben Stunde
und eine einstündige Mittagszeit pünktlich eingehalten wurden, betrug die
Arbeitszeit rund 61 Wochenstunden. Die Arbeitszeit der Lehrlinge verlängerte
sich noch um den Schließdienst, Geschirrdienst, Essensdienst, Heizdienst und
den Stubendienst, so daß sie rund 67 Wochenstunden arbeiten mußten. Trotzdem
wurden die Gehilfen und Lehrlinge der Firma Rupflin von allen gärtnerischen
Arbeitskräften der Umgebung glühend beneidet, denn in anderen Betrieben begann
der Dienst im Sommer mit Sonnenaufgang. Außerdem mußten nach Feierabend die
Erzeugnisse noch marktfertig gemacht werden, was oft bis in die Nacht dauerte.
So hatte ich also ausgesprochenes Glück mit meiner Lehrstelle.
    Am Abend des 30. April 1920 brachte
mich mein Vater zu meinem Lehrmeister. Der Obergärtner nahm mich in Empfang und
brachte mich in den Essens- und Aufenthaltsraum mit der Bemerkung, daß ich der
neue Lehrling Albert sei. Ein anderer Lehrling zeigte mir das Zimmer, in dem
wir zu dritt schliefen, ein Kämmerchen mit dreieinhalb Metern im Quadrat, in
dem drei Betten und ein Spind standen, den übrigen Raum nahmen unsere drei
Holzköfferchen ein.
    Dann ging es wieder in den
Aufenthaltsraum, kurz Gärtnerbude genannt. Diese Gärtnerbude war ein kahler
Raum mit einigen roh gezimmerten Tischen und Bänken ohne Rückenlehne und ein
paar Stühlen, die den Gehilfen vorbehalten waren. In der hinteren Ecke war ein
Lattenverschlag, in dem irgendwelches Werkzeug untergebracht war, nebst einer
Pritsche für den Nachtdienst. Ein Kanonenofen vervollständigte die Einrichtung.
Diese Gärtnerbude war unser einziger heizbarer Raum. Alle Schlafräume waren
nicht heizbar. Da das Haus sehr feucht und kalt war, zeigte sich im Winter
meist Eis an den Zimmerwänden, und die Betten waren klamm. Aber wir wußten uns
zu helfen: Wir fingen abends die Katzen der Nachbarschaft ein und steckten sie
in unsere Betten. Man mußte nur von Zeit zu Zeit kontrollieren, ob nicht ein
Zimmergenosse die lebende Wärmflasche in sein Bett umgesiedelt hatte. Besonders
raffiniert machte es ein Gehilfe aus dem Bayerischen Wald. In seinem Bett
räkelten sich zu unserem Erstaunen ständig Katzen. Ja er ließ sogar die Fenster
offen, damit die Katzen hereinkamen, während wir die Fenster verschlossen
halten mußten, damit die Katzen nicht entwichen. Wir standen vor einem Rätsel
bis wir dahinterkamen, daß er Baldrianextrakt auf seinen Strohsack träufelte.
    Aber mit dieser Milieuschilderung eile
ich der Zeit voraus. Nachdem ich vom Obergärtner allgemein vorgestellt worden
war, setzte ich mich zu den anderen Lehrlingen zwecks Kontaktaufnahme — von
meiner Seite vorsichtig tastend, von der anderen Seite mit der betont
herablassenden Haltung dienstälterer Lehrbuben. Denn auch hier gab es die
Rangordnung zwischen Unter- und Oberstift. Plötzlich ging die Türe auf, mein
Vater erschien nochmals, um mir meine Hausschuhe zu bringen, die versehentlich
in seinen Koffer gepackt worden waren. Mir war das furchtbar peinlich, weil ich
fürchtete, daß ich deshalb von

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