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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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ein geringer Trost, daß ich ihre
zartfarbenen Schuhe gründlich mit einer Bürste für schwarzes Schuhwerk
polierte.
    Am allerwenigsten schätzte ich es, wenn
ich abstauben mußte. Erregte diese Tätigkeit an sich schon mein höchstes
Mißfallen, so brachte mich der Gedanke, das Staubtuch alle Augenblicke aus dem
Fenster schütteln zu müssen, an den Rand des Wahnsinns. Fürchtete ich doch jedesmal,
ein Klassenkamerad würde mich bei dieser Tätigkeit beobachten und es mit
Triumphgeheul der ganzen Klasse erzählen. Das hätte in meinen Augen den Tod in
der Lausbubengesellschaft bedeutet. Deshalb spähte ich jedesmal vorsichtig zum
Fenster hinaus, und wenn die Luft rein schien, kniete ich am Fenster nieder,
streckte zaghaft die Hand mit dem Staubtuch etwas hinaus, um es ungesehen
auszuschütteln. Entdeckte ich aber bei dem Blick durchs Fenster auch nur von
weiter Ferne eine bunte Mütze unserer Klasse, begab ich mich lieber auf die
Toilette, um den Lappen dort auszuschütteln.
    Zu den erfreulicheren Ereignissen
meines Bubenlebens in Isny gehörte es, wenn im Herbst gemostet wurde. Eine
Begebenheit, die mich zutiefst beeindruckt hat, ist mir in Erinnerung geblieben.
    Zur gleichen Zeit wie meine Eltern
mostete auch der Vater einer um sechs Ecken herum angeheirateten Tante. Sein
Enkel Gottlieb und ich, wir beiden Buben, hatten Spaß an dem Geschäft, und so
zogen und ruckten wir mit aller Kraft am Hebel der Mostpresse. »Na Gottlieb, da
wird dein Großvater dir eine Extraflasche Most geben, wenn er sieht, wie fest
du arbeitest.« Dies sagte eine Frau, die vorüberging, zu meinem Vetter, worauf
er zu meinem mit Respekt gemischten Entsetzen antwortete: »Das läßt der alte
Geizkragen bestimmt bleiben, der säuft ihn lieber selber.« Ich hatte keine
Atmung, daß der Großvater so schwerhörig war, daß er kein Wort verstand, und
daß deshalb seine Angehörigen gewöhnt waren, ihre Meinung über ihn in seiner
Gegenwart völlig ungeniert zu äußern. Mit dieser, wie ich meinte,
Riesenfrechheit erwarb Gottlieb meine Hochachtung in solchem Maße, daß ich ihn
mit großem Respekt behandelte und in den engeren Kreis meiner Freunde einbezog.
Dabei war dieser »schwäbische Vetter« von der Veranlagung her gar kein
richtiger Lausbub. Er wurde es aus Opposition, weil ihm stets sein älterer
Bruder als leuchtendes Vorbild vorgehalten wurde. Das brachte ihn derart in
Rage, daß er alles tat, um ja kein solcher Tugendbold zu sein.
    Obwohl ich kräftig und körperlich sehr
gewand t war, waren die Turnstunden das Langweiligste für mich was es gab. Ich
habe soviel Geistlosigkeit später nur noch einmal auf dem Kasernenhof bei der
Grundausbildung nach dem Exerzierreglement erlebt. Unsere Turnlehrer waren bis
an den Hals mit diesem Kommißgeist erfüllt, und sogar die Bauchwelle durfte nur
nach Abschnitten 1-2-3-4 gemacht werden. So war eine körperliche Ertüchtigung
nur außerhalb dieser Stunden möglich.
    Den meisten Gefallen fand ich am
Wintersport, der zu dieser Zeit gerade modern wurde. Es war ein Glücksfall für
die Isnyer Jugend, daß nach dem Kriege, bei der Auflösung der Alpenjäger, deren
Skier zu Schleuderpreisen verkauft wurden, so daß sich auch die Ärmsten ein
Paar Skier kaufen konnten. Schon nach kurzer Zeit wurden bei Isny kleine
Sprungschanzen gebaut, und die durch ihren Beruf zu körperlicher Gewandtheit
erzogenen Holzknechte wurden die ersten Asse der neuen Skizunft. Sie waren zu
jedem Opfer für ihren Sport bereit. (Damals gab es noch keinerlei Zuschüsse von
Firmen oder steuerbegünstigte Zuwendungen, sondern alles mußte in freiwilliger
Arbeit geleistet oder von den mehr als bescheidenen Löhnen abgespart werden.)
Daß wir Buben mit ganzem Herzen dabei waren, war selbstverständlich.
    Es ging beim Skisport damals sehr einfach
zu. Noch nicht einmal jeder zehnte hatte richtige Skistiefel. Man schlug
einfach einen Nagel in den Absatz, dann hielt die Bindung auch. Von einer
richtigen Skihose konnte man nur träumen. Wenn es hochkam, besaß man eine
sogenannte Knickerbocker- oder Breecheshose mit Wadenstrümpfen. Mangelte es
auch daran, so genügte ein Bindfaden, mit dem man die Hose unten zusammenband.
Ausgelacht wurde man damals, als Piste und Loipe noch unbekannte Ausdrücke
waren, nicht wegen der Kleidung, sondern nur wegen des sportlichen Versagens.
Freilich waren wir uns noch nicht einmal klar darüber, daß wir Sport trieben.
Wir fuhren schlicht und einfach Ski.
     
     
     

Gärtnerstift

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