Das Schlitzohr
den anderen verlacht werde. Ich war daher ganz
erstaunt, als nach dem Abschied meines Vaters keinerlei Spottreden geführt
wurden, sondern im Gegenteil, eine nachdenkliche Stille herrschte. Bis ein
Gehilfe, der zuvor die rüdesten Sprüche gemacht hatte, die Stimmung mit den
Worten ausdrückte: »Hast du einen guten Vater, der extra nochmal herkommt, um
dir die Pantoffeln zu bringen.«
Am anderen Morgen rasselte, wie nun für
lange Zeit, um 5 Uhr der Wecker. Wir wuschen uns am Hofbrunnen. Das mußte alles
sehr schnell gehen, weil wir Lehrlinge das Frühstück von der 30 m entfernten
Villa des Chefs holen und den Tisch decken mußten. Nach dem Frühstück sammelte
ein Lehrling das Geschirr ein, reinigte Tische und Gärtnerbude und brachte das
Geschirr in die Küche zurück. Für diese Arbeit waren zehn Minuten zugebilligt.
Um 6 Uhr versammelte man sich im großen Verpflanzschuppen, wo die Arbeit des
Tages besprochen und verteilt wurde. Die Gärtner, die ein eigenes Revier
hatten, konnten dies gleich aufsuchen. Um 9 Uhr wurde Brotzeit gemacht. Man
versammelte sich wieder in der Gärtnerbude, die Lehrlinge holten Kaffee oder
Most und einen Brotaufstrich in der Küche. Das Brot mußte man sich selbst
kaufen, da es damals noch auf Marken abgegeben wurde. Nach der Brotzeit hatte
der mit dem Stubendienst beauftragte Lehrling wieder das Vergnügen, Tische und
Bude zu reinigen. Dasselbe wiederholte sich bei Mittagessen, Brotzeit und
Abendessen.
Am Samstagnachmittag war Großputz,
danach wurde der Stubendienst an den nächsten Lehrling, der an der Reihe war,
übergeben. Dafür mußte man den Geschirrdienst übernehmen. Unter Geschirrdienst
verstand man das Einsammeln und Reinigen des gebrauchten Handwerkzeuges wie
Spaten, Schaufeln, Hacken usw. Dieses Geschirr wurde meist trocken gereinigt;
nur wenn es geregnet hatte, mußte man es waschen und trockenreiben, damit es
blank blieb und nicht verrostete. Anschließend hängte man es an die dazu
bestimmten Haken. Bei diesem Dienst mußte man sehr auf der Hut sein, daß einem
kein Streich gespielt wurde. Besonders wehrlos war man, wenn ein Übelwollender
eine Hacke, eine Schaufel oder einen Spaten hinter einer Hecke verschwinden
ließ und nach einigen Tagen verrostet wieder »fand« bzw. den
Geschirrdiensthabenden finden ließ. Verschlamptes Gerät galt als grobe
Pflichtverletzung, die mit Verlängerung dieses Dienstes geahndet wurde. Das war
besonders bitter, weil man zum Geschirrdienst mindestens eine Stunde brauchte
und regelmäßig zu spät zum Abendessen kam, so daß man sich mit den kümmerlichen
Resten begnügen mußte, die von den anderen übriggelassen worden waren.
In der Woche nach dem Geschirrdienst
war man zum Abschließdienst eingeteilt. Man holte abends die Schlüssel im Büro
und schloß alle Tore und Türen der Gärtnerei ab. Als letzter Dienst kam der
Heizdienst. Dann hatte man eine Woche Ruhe bis der Stubendienst wieder begann.
Der Heizdienst war der bei uns
Lehrlingen beliebteste Dienst, obwohl man im Winter bis 24 Uhr aufbleiben
mußte, um die Temperaturen der Heizungskessel und der Gewächshäuser noch einmal
zu kontrollieren und in ein Kontrollbuch einzutragen. Man nahm den Transport
des Kokses, das Schlackenziehen und Ascheräumen gern in Kauf. Man war nämlich
durch diesen Heizdienst auch tagsüber voll ausgelastet und blieb dadurch von
vielen anderen Arbeiten verschont, zum Beispiel vom Gemüseputzen im Freien.
Hatte man sich beim Heizdienst besonders bewährt, wurde man während des Winters
ausschließlich damit betraut und von den anderen Diensten freigestellt. Das war
natürlich die Höhe der Gefühle. Man brauchte kein Essen zu schleppen, keine
Bude und Tische zu reinigen und keine versteckten Werkzeuge zu suchen. Dafür
konnte man, wenn die Familie des Chefs schlief, die für die Flieder- und
Maiblumentreiberei bestimmte Wanne mit heißem Wasser füllen und seine Mitstifte
zu einer Badeparty einladen, denn dieses Becken war so groß, daß nicht nur 150
Töpfe mit Maiblumenkeimen oder ein Dutzend Treibflieder, sondern auch
mindestens vier Lehrbuben Platz hatten. Erstaunlich war, daß diese Partys
während meiner ganzen Lehrzeit ein streng gehütetes Geheimnis blieben.
Die Arbeit im Betrieb war recht
befriedigend. Im Gegensatz zu den meisten Gärtnereibesitzern, welche ihre
Lehrlinge in den ersten Jahren nur mit Hilfsarbeiten beschäftigten, wurden wir
von unserem Chef vom ersten Tage an mit gärtnerischen Arbeiten vertraut gemacht
und bekamen schon
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