Das Schlitzohr
nach einem halben Jahr bei entsprechender Eignung
verantwortungsvolle Arbeiten zugewiesen. Das stachelte unseren Ehrgeiz an, und
so erfüllte es mich mit großem Stolz, daß ich am Anfang des zweiten Lehrjahres
für eine Kultur von 2000 bis 3000 Alpenveilchen zuständig war.
Selbstverständlich geschah das unter der Aufsicht des Obergärtners, der mir
aber das Gefühl von Selbständigkeit in verständnisvoller Weise ließ. Das wirkte
sich auf den Betrieb äußerst günstig aus, weil fähige und interessierte
Lehrlinge spätestens am Ende des zweiten Lehrjahres einen Junggehilfen ersetzen
konnten.
»Bigott der
Schorsch«
Diese und viele andere kluge Maßnahmen
gingen auf den Besitzer der Gärtnerei, auf Georg Rupflin zurück. Er wurde von
uns schlicht »der Schorsch« oder »Bigott der Schorsch« genannt, weil er jeden
zweiten Satz mit der an der Vorarlberger Grenze beliebten Wendung »Bigott« (bei
Gott) anfing, unterstrich oder beendete. Ich glaube heute, daß er diese Wendung
ursprünglich nur benutzte, um eine gewisse ländliche Verbundenheit zu
demonstrieren. Damit sicherte er sich Vertrauen und Sympathie einfacher
Menschen. Allmählich aber wurde ihm diese Redewendung zur Gewohnheit.
Dieser Schorsch war ein hochbegabter,
weitblickender Dilettant voller Einfälle. So erkannte er schon frühzeitig das
Wesen der Inflation und gab einen monatlichen Index für die bayerischen Gärtner
heraus. Daß er diese Erkenntnisse auch für seinen eigenen Betrieb zu nutzen
wußte, ist weiter oben bereits angedeutet. Er betrieb, wie schon gesagt, einen
außerordentlich schwunghaften Handel mit der Schweiz. Nicht immer zur Freude
seiner Schweizer Kollegen, die ihm deshalb auch den Vorwurf machten, mehr
Händler als Gärtner zu sein. Diesem Vorwurf begegnete er auf eine für ihn
typische Weise: Er pachtete einen an seine Gärtnerei anstoßenden, über einen
Hektar großen Acker, den er durch einen Zaun in den Betrieb einschloß. Dann
ließ er ein gutes Dutzend Güterwagen mit Erikastöcken nicht wie üblich Anfang
September, sondern bereits Ende Juli aus der Gegend von Dresden kommen, und
senkte sie in diesen inzwischen in Beete aufgeteilten Acker ein. Da gerade in
Augsburg eine große Gärtnerei als Bauplatz verkauft wurde, übernahm er ihre
Gewächshäuser auf Abbruch, ließ diese in seiner Gärtnerei aufstellen und füllte
sie mit Kamelien, die er gleichfalls waggonweise aus Sachsen bezog.
Gleichzeitig übernahm er die gesamten Frühbeetfenster der Augsburger Gärtnerei
und ließ eine Menge Frühbeete bauen. Zu unserem Erstaunen wurden nur die am
Rande liegenden Beete mit Pflanzen bestückt, und wir rätselten natürlich, was
diese an Potemkinsche Dörfer erinnernde Schau bezwecken sollte. Die Lösung ließ
nicht lange auf sich warten. Eines Tages mietete Schorsch sämtliche
Lohnkutschen von Lindau und ließ von einem Hotel eine umfangreiche Kommission
Schweizer Gärtner abholen, denen er beweisen wollte, daß er alle in die Schweiz
versandten Pflanzen im eigenen Betrieb angezogen hatte. Zuerst wurde diese
Kommission mit einem beachtlichen Gabelfrühstück und mit viel Wein traktiert.
Schorsch richtete es dann so ein, daß er mit den Eidgenossen auf die Terrasse
seiner Villa hinaustrat, als wir unsere Gärtnerbude nach der Morgenbrotzeit
verließen. Einige von uns tröpfelten zwischen die Gewächshäuser bei der Villa,
das Gros jedoch bog um die Ecke, wodurch sie den Blicken der
Kommissionsmitgliedern entschwanden, und das war gut so. Denn auf der Rückseite
der Gärtnerbude führte eine Leiter zu einem Fenster, durch das wir wieder in
unseren Vesperraum hineinstiegen, die Jacken wechselten, um ein zweites Mal vor
den kritischen Augen der Eidgenossen zu paradieren. Diese waren denn auch von
diesem alles in den Schatten stellenden Aufgebot an Personal zutiefst
beeindruckt. Ein Eindruck, der sich noch steigerte, als Schorsch ihnen die randvollen
Gewächshäuser und die üppig besetzten Frühbeete — Schorsch wußte ja, welche
Frühbeetfenster hochgehoben werden durften — vorführte. Als Schorsch ihnen gar
den unübersehbaren Erikenbestand zeigte, der den verkaufsreifen Bestand von
mindestens zehn sächsischen Erikagärtnereien enthielt, schlug ihr anfängliches
Mißtrauen in absolute Bewunderung für ihren großen Kollegen um. Bei unserem
Gang zum Mittagessen war keine weitere Maskerade mehr nötig, denn Schorsch
hatte seine Schweizer Gäste schon längst zu einem opulenten Mahl geschleppt.
Sie durften
Weitere Kostenlose Bücher