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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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äußerst bescheiden geblieben. So, im letzten Lehrjahr, war der
Aufenthalt dort eine wertvolle Ergänzung meiner Ausbildung, da ich auf dem
Gebiet der Binderei und Blumendekoration sehr viel lernen konnte, zumal Lindau
von vielen anspruchsvollen Fremden aufgesucht wurde, deren Geschmack man
Rechnung tragen mußte. Als die drei Lehrjahre vorüber waren, legte ich meine
Lehrlingsprüfung zur allgemeinen Überraschung — auch zu der meines Lehrherrn — mit
vorzüglichem Erfolg ab. Dies veranlaßte ihn, mir ein besonders schwungvolles
Zeugnis zu schreiben, das mir nach seinen Worten sämtliche Tore öffnen sollte.
    Vorläufig hatte ich mit den sämtlichen
Toren nicht viel im Sinn, sondern schickte das Holzköfferchen mit meinen
wenigen Habseligkeiten zu meinen Eltern. Sie hatten vor einigen Jahren mit
meinem Schwager, einem Ziegeleifachmann, das Dampfziegelwerk Schussenried
gekauft. Ich selbst schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr zu meiner Großmutter
nach Isny. Von dort aus machte ich einen Besuch in Kempten bei der Dame, die
nach dem Umzug meiner Eltern nach Isny für mich gesorgt hatte. Diese Dame hatte
unter dem Druck der Inflation ihre große Wohnung gegen eine sehr bescheidene
vertauscht, die gegenüber der Gärtnerei »Städele« lag. Als ich von ihr hörte,
daß der Gärtnermeister Städele einen Gehilfen suchte, stellte ich mich ihm vor,
und wir wurden schnell handelseinig. Außer dem Meister und mir war nur noch ein
Gartenarbeiter im Betrieb. Im Gegensatz zu meinen Lindauer Chefs war Meister
Städele von ½ 6 Uhr morgens bis zum Abend selbst ununterbrochen in der
Gärtnerei tätig. Im Vergleich zu dem Stadtbetrieb — meiner Lehrgärtnerei — wurde
dort mit der Hälfte von Arbeitskräften das Doppelte an Pflanzen herangezogen.
Und diese Pflanzen befanden sich in einem hervorragenden Kulturzustand. Hier
wurden keine neuen, arbeitssparenden Methoden ausprobiert, aber man hielt ein
gutes Arbeitstempo durch, und was man machte, hatte Hand und Fuß. Hier lernte
ich das erste Mal, wie wichtig es ist, daß der Chef der erste und der letzte im
Betrieb ist. Meister Städele und ich hatten in dem Sommer, in dem ich bei ihm
arbeitete, ein nettes Gesellschaftsspiel: Der offizielle Arbeitsbeginn war um ½
6 Uhr, aber Meister Städele war schon eine Viertelstunde früher in der
Gärtnerei und pflegte ein vor meinem Fenster gelegenes Gewächshaus abzudecken.
Da mein Wecker täglich fünf Minuten vorging, kam ich jeden Tag soviel früher,
daß wir Mitte der Woche gleichzeitig mit der Arbeit begannen. Als ich am
Freitag und Samstag zehn Minuten vor dem Meister in der Gärtnerei war, deckte
ich natürlich mit ebensoviel Geräusch das Gewächshaus vor seinem
Schlafzimmerfenster auf, aus dem er höchst erstaunt herausschaute und
fürchtete, er hätte verschlafen. In den folgenden Wochen wiederholte sich
dieses Spiel, das mir enormen Spaß machte. Auch sonst war zwischen uns beiden
eine geheime Rivalität. Jeder versuchte, den anderen irgendwie zu übertreffen,
wobei dem Meister Erfahrung, Routine und eine unglaubliche Zähigkeit zu Hilfe
kamen. Bei mir war es mehr die körperliche Kraft und die Energie der Jugend,
die ich einsetzen konnte. Nicht zuletzt kamen mir aber auch die modernen,
rationellen Arbeitsmethoden, die ich in Lindau erlernt hatte, zu Hilfe. Heute
ist mir noch sein verdutztes Gesicht vor Augen, als ich den guten Meister
Städele beim Verpflanzen im Tempo haushoch schlug. Er versuchte krampfhaft, bei
meiner Arbeit nach einer Schluderei zu suchen, aber er war ehrlich genug, es
anzuerkennen, daß keine vorhanden war, und er ließ sich meine »neumodische
Methode« erklären. Inzwischen stieg die Fieberkurve der Inflation immer höher.
Die Meisterin, die den Laden der Gärtnerei betrieb, kam mit den Preisen nicht
mehr mit und traute sich die Millionen und Billionen nicht mehr zu verlangen.
Sie überließ letztendlich die Preisgestaltung mir, da ihr diese Forderungen
unchristlich erschienen. Als sie im Juli, wie alljährlich, Kohlen für den Winter
bestellte, konnte sie, als der Preis genannt wurde, zu dem Kohlenhändler nur
noch entsetzt sagen: »Aber Sie wollet doch auch in den Himmel!« Ich selbst war
von der Inflation insofern betroffen, als mein Wochenlohn noch nicht einmal
ausreichte, mir ein Glas Bier zu kaufen, und es war ein Glück, daß ich bei
meinem Meister in Kost und Logis war. Dabei träumte ich davon, mit der
reizenden Nichte meines Meisters einmal groß auszugehen, wenn wir zum Öschlesee
zum

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