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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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gab. Diese Übung vollführte ich
mindestens dreimal, bis wir endlich das Festland erreichten. Vetter Karl
benutzte jedesmal die Gelegenheit, um in verräterischer Weise Nelly zum
Weitergehen zu überreden. Aber sie blieb treu und standhaft. Endlich erreichten
wir das Festland. Jetzt war Vetter Karl an der Reihe. Er hatte es zwar
leichter, Deckung zu finden, aber sei es nun, daß ihr zwei mit diesem Defekt
behaftete Kavaliere doch etwas zuviel waren oder...? Jedenfalls ließ sie sich
dazu bewegen, weiterzugehen. Als wir hinter uns die stampfenden Schritte eines
rasch Dahineilenden hörten, ließ sie sich auch bereitwillig seitlich in den
deckenden Schatten ziehen. Von hier aus sahen wir dann auch Vetter Karl, mit
den Händen die Hose haltend, rasch entschwinden. Vorsichtshalber schlug ich
einen kleinen Umweg ein, der sich als durchaus reizvoll herausstellte. So
trafen wir erst nach eineinhalb Stunden am Tor der Villa ein. Hier fanden wir
einen zornbebenden Vetter Karl, der unsere Versicherung, wir hätten ihn so
lange verzweifelt gesucht, als blanken Hohn abtat. Der Heimweg von Karl und mir
verlief sehr schweigsam.
    In der folgenden Zeit stand ich in so
hellen Flammen, daß auch die Wasser des Bodensees nicht ausreichten, die Glut
abzukühlen. Ich fuhr jeden Abend mit dem Fahrrad zu dem Strandbad hinter dem
Lindenhof in Bad Schachen, um zu dem 600 m entfernten Badehäuschen zu
schwimmen, das zu der Villa meiner Angebeteten gehörte. Hier wurde ich bereits
erwartet. Die liebende Hand hatte den Deckel der Badeluke bereits geöffnet, und
wir schmachteten uns stundenlang in seeliger Verliebtheit an. Und dann endete
diese Romanze auf eine unglaublich tragikomische Weise.
    Als Nelly und ich wieder einmal mit
verliebten Blicken auf der Veranda des Häuschens saßen, näherte sich das
Schicksal in Form meines Onkels. Ich konnte gerade noch durch die Luke die
Treppe ins Wasser hinunterschlüpfen. Da ich auf keinen Fall wegschwimmen
konnte, wenn ich nicht erkannt werden wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als
bibbernd auf der leiterartigen und deshalb auf die Dauer reichlich unbequemen
Treppe zu sitzen und zu frieren. Das Wasser war schon ziemlich kalt, aber mein
Onkel las auf der Veranda genüßlich seine Zeitung und dachte gar nicht daran
abzuziehen. Wenn man sonst sagt »der Kavalier genießt und schweigt«, so war in
meiner Lage höchstens noch der Ausspruch »der Kavalier schweigt und friert«
angebracht. Endlich, als die »goldene Abendsonne« bereits die Berge nicht mehr
vergoldete (was mir übrigens Wurscht war, denn mir war längst der Sinn für den
Zauber der Landschaft vergangen), faltete der Onkel die Zeitung zusammen und
begab sich ins Haus. Ich schwamm dem Strandbad am Lindenhof zu, das natürlich
schon längst geschlossen hatte. Also stand ich frierend, aber leider ohne
Kleidung, wieder auf dem Land, denn diese war im Umkleideraum mit
eingeschlossen worden. Nur mein Fahrrad lehnte noch einsam vor dem Strandbad.
So schwang ich mich als »Erreger öffentlichen Ärgernisses« aufs Rad und verließ
mich darauf, daß kein Polizist und auch kein Verwandter oder Bekannter meinen
Weg kreuzen würde. Das Glück war mit mir, es gelang mir, unbemerkt ins Haus zu
schlüpfen, um mich anzukleiden. Damit war das Problem aber noch nicht gelöst.
Ich mußte ja meine Kleider noch im Bad abholen, und zwar bevor jemand auf die
Idee kam, ich wäre ertrunken oder es wäre sonst etwas passiert.
    Ich kaute deshalb am nächsten Morgen
ein Stück Lebkuchen und schob es auf der linken Seite zwischen Kiefer und
Wange, kam stöhnend zum Frühstück und jammerte über meine unerträglichen
Zahnschmerzen. Die Chefin, ihre Mutter und das Dienstmädchen zerflossen vor
Mitleid, als sie die geschwollene Backe sahen, und es wurde mir sofort geraten,
meinen Zahnarzt in Bad Schachen aufzusuchen. Ich kam gerade noch rechtzeitig
ins Strandbad. Die Reinemachefrau hatte meine Kleidung bereits gefunden, aber
es war noch niemand verständigt worden. Erleichtert brachte ich mein Eigentum
bei der Mutter eines Mitstifts unter, um es abends, wenn niemand mehr dumme
Fragen stellte, abzuholen. Vorsichtshalber ging ich auch noch zum Zahnarzt und
ließ mir die Zähne nachsehen. Da er ein gewissenhafter Mann war, fand er auch
ein kleines Loch in einem Zahn, allerdings an einer anderen Stelle als ich
angegeben hatte. So hatte sich alles wieder einmal zur Zufriedenheit aufgelöst,
aber meine Leidenschaft war stark abgekühlt, und ich versuchte mich nie

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