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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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Baden fuhren. Aber das blieb ein Traum. Ich mußte froh sein, wenn das Geld
zum Eintritt in die Badeanstalt reichte. Zum Trost ging es nicht nur mir so.
    Als mich in diesem Sommer mein Vater
besuchte, rechnete er mir vor, daß ich noch nicht einmal soviel verdiente, daß
ich meine Kleidung ersetzen konnte und überredete mich, mit in der Ziegelei zu
arbeiten. Meine Kündigung rief große Bestürzung hervor, und es gab einen
rührenden Abschied von beiden Seiten. Ich kam mir wie ein Verräter vor, als ich
die beiden lieben alten Leute verließ, die mich wie den eigenen Sohn behandelt
hatten. Aber im Grunde mußte ich meinem Vater recht geben.
    Als ich in Schussenried ankam, wartete
schon Arbeit auf mich. Da der zweite Brennmeister entlassen werden mußte, wurde
ich auf den Brennofen gesteckt. Der Aufenthalt auf dem Ringofen war mindestens
für den Anfänger ziemlich ungemütlich. Man stelle sich eine Nacht in dem nach
allen Seiten offenen Gebäude vor, in dem es mal da, mal dort knackt. Es ist
wohl begreiflich, daß es einem 18jährigen Jungen mindestens in den ersten Tagen
etwas bänglich zumute war. Es war eigentlich sonderbar, in der Gärtnerei ging
ich nachts schon als 15jähriger durch sämtliche Gewächshäuser, um die
Temperaturen zu kontrollieren, ohne das geringste dabei zu denken. Allerdings
war da auch niemand, der mich veranlaßt hätte, Angst zu haben. Zu Hause am
Familientisch freilich wurde von der besorgten Mutter immer wieder die Frage
ventiliert, ob ich denn wirklich keine Angst hätte, und sie ließ es sich auch
nicht nehmen, Zeitungsberichte über Überfälle aller Art mit Hingabe zu
kommentieren. Aber bald machten mir die Einsamkeit und die mütterlichen
Angstgefühle nichts mehr aus, denn ich hatte Ladendorfs Reisebibliothek
entdeckt.
    Ein Herr namens Ladendorf war am Ende
des vorigen Jahrhunderts auf die treffliche Idee gekommen, Restauflagen von
Büchern aufzukaufen. Diese Bücher konnten die Reisenden in vielen Hotels
erstehen und am nächsten Ort in dem Hotel, das an Ladendorfs Reisebibliothek
angeschlossen war, gegen einen kleinen Betrag Umtauschen. Beim Verkauf des
Hotels hatten meine Eltern diese Bibliothek behalten. So kam ich zu einer
Bibliothek mit etwa 200 Bänden, die ein recht gutes Niveau hatte.
    Da ich bisher während meines
Gärtnerdaseins kaum ein Buch gelesen hatte, stürzte ich mich wie ein
Verdurstender auf dieses Literaturangebot. Da der Brennofen alle zehn Minuten
nachgeheizt werden mußte und das Nachlegen selbst zwei bis drei Minuten
dauerte, konnte ich mich dazwischen sieben Minuten meinen literarischen
Genüssen hingeben. Die Lektüre wurde zerhackt wie ein Zeitungsroman, bei dem
man immer, wenn man so richtig in Schwung ist, auf ein »Fortsetzung folgt«
stößt. Da eine Ziegelei mit ihrem Lehmstaub ziemlich schmutzig ist und der
Kohlestaub und der Ruß aus dem Ringofen noch das ihrige taten, sahen die Bücher
aus, als ob sie ein Kohlenbrenner in der Mache gehabt hätte. Zum Glück merkte
es niemand in der Familie, weil ihr Bedarf an Ladendorf schon längst gedeckt
war. Für mich war jedoch diese Bibliothek, die alle lizenzfreien Größen der
Weltliteratur umfaßte, ein Bildungsmittel, das mir später außerordentlich
zugute kam. So nahm ich es denn später auch gelassen hin, als meine barbarische
Beschmutzung dieser Bücher entdeckt und entsprechend angeprangert wurde.
    In meiner Freizeit betreute ich den
Garten und das umfangreiche Obstgut des Betriebes. Körperlich war ich in dieser
Zeit in der besten Verfassung. Ich trug zum Erstaunen meiner Eltern die
Zweizentnersäcke des auf den Ziegeläckern geernteten Getreides mühelos die drei
Stockwerke zum Kornboden hinauf. Die Folge dieser Körperkräfte war, daß vieles,
was ich in die Hand nahm, zerbrach. Sogar zwei Türschnallen sind mir im Laufe
der Zeit in der Hand geblieben. Das führte dazu, daß ich mich kaum noch traute,
die Dinge richtig anzufassen.
     
     
     

Die Aussicht aufs
Studium und auf den Misthaufen
     
     
    Während meiner Tätigkeit auf dem
Ringofen im Herbst 1923 endete die Inflation, die wirtschaftliche Lage besserte
sich, und der Familienrat beschloß, daß ich Gartenbau in Weihenstephan
studieren solle.
    Es gab damals vier höhere Lehranstalten
für Gartenbau. Die älteste war Berlin-Dahlem. Die kam für mich nicht in Frage,
weil dort die mittlere Reife als Studienvoraussetzung vorgeschrieben war. Also
standen noch Geisenheim am Rhein, Köstritz in Thüringen und Weihenstephan bei
München zur

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