Das Schlitzohr
unterstand dem Staatsrentamt. Es hat mich in den nächsten
Jahren viel Zeit und Kraft gekostet, in Stuttgart eine einheitliche
Gartenbauverwaltung zu schaffen. Inzwischen hatte sich einiges getan. Ich wurde
von der Hochschule Hohenheim zum Leiter der Gartenbauschule vorgeschlagen. Vom
Reichsstatthalter Murr wurde der Vorschlag zurückgewiesen, trotzdem hielt das
Kultusministerium daran fest. Es nützte nichts, denn Murr ernannte aus eigener
Machtvollkommenheit einen anderen Bewerber. Es handelte sich dabei allerdings
nicht um einen Günstling des neuen Regimes, sondern es war mein hochgeschätzter
Lehrer, Landwirtschaftsrat Sander.
Angesichts der weiteren politischen
Entwicklung war ich froh, daß ich nicht nach Hohenheim berufen worden war, denn
bei meiner Querköpfigkeit hätte ich als Lehrer bestimmt erhebliche politische
Schwierigkeiten bekommen. Deshalb schrieb ich dem Kultusministerium auch ab,
als ich aufgefordert wurde, wieder zum Lehramt zurückzukehren. Zufällig hatte
mir ein Studienfreund einen Artikel der Reichssturmfahne gezeigt. Hier wurden
in einer niederträchtigen Weise die Lehrer veräppelt. Ich klebte das Pamphlet
auf die Rückseite des Schreibens des Ministeriums und schrieb darunter: »Nein,
solange so etwas möglich ist.« Danach erhielt ich keine Aufforderung des
Kultusministeriums mehr. Aber bei der nächsten Versammlung des Vereins für
vaterländische Naturkunde bedankte sich der Referent des Ministeriums im
Vertrauen bei mir und erklärte, daß ich dem Ministerium damit sehr geholfen
hätte, wenn man auch nicht darüber sprechen dürfe. Da wußte ich, daß ich hier
einen Freund gewonnen hatte.
Das Dornröschen wird
wachgeküßt
Die verschiedenen Möglichkeiten, mich
durch einen Wechsel erheblich zu verbessern, hielten mich nicht davon ab, die
Wilhelma gründlich umzugestalten. Es war nämlich eine merkwürdige Sache mit
diesem Garten. Die Wilhelma hatte seit der Zeit des ersten Hofgärtners Johann
Baptist Müller einen regelrechten Dornröschenschlaf geschlafen. Es waren sehr
brave und ordentliche Hofgärtner am Werk, die ebenso brave und ordentliche
Gärtner beaufsichtigten, aber um Gottes willen das eingefahrene Gleis nicht
verließen. Im Frühjahr wurde an einem bestimmten Tage mit dem Ausräumen der
Gewächshäuser begonnen, und an einem gleichfalls bestimmten Tage im Herbst
wurden die Gewächshäuser wieder eingeräumt. Jede Pflanze hatte ihren
angestammten Platz im Freien wie im Gewächshaus. Diesem ruhigen Betrieb
entsprach es denn auch, daß sich die Belegschaft jeden Morgen sammelte und der
Direktor anhand einer Liste die Namen aller Beschäftigten aufrief, die ihrerseits
mit einem mehr oder weniger militärischen »Hier« ihre Anwesenheit kundtaten.
Anschließend ging man auseinander, da der Laden so eingefahren war, daß jeder
genau wußte, was er zu tun hatte oder wenigstens tun sollte. Ich beobachtete
diesen Betrieb einige Zeit und benutzte dann die Gelegenheit der
Blumenausstellung zum deutschen Turnfest, um Arbeitsgruppen zusammenzustellen.
Dazu waren natürlich vorher Arbeitsbesprechungen mit den einzelnen Obergärtnern
nötig. Da es sich bei dieser Ausstellung um eine einmalige Sache handelte und
sie doch recht stolz auf ihre Wilhelma waren, arbeiteten sie freudig mit, und
als die Ausstellung ein großer Erfolg wurde, war das Eis endgültig gebrochen.
Den nächsten Schritt zur
Umorganisierung tat ich damit, daß ich ein schönes Kakteen- und Sukkulentenhaus
in den hohen Gewächshäusern links des maurischen Landhauses einrichtete. Dabei
benutzte ich die Gelegenheit, eine Anzahl wunderschöner Schaupflanzen zu
erwerben, die von den württembergischen Gärtnern bei der Ausstellung gezeigt
worden waren. Unsere ganze Belegschaft war überrascht, wie hervorragend die
Pflanzen in der neuen Anordnung zur Geltung kamen. Sie nahmen deshalb gerne die
damit verbundenen Anstrengungen auf sich.
Überhaupt muß ich sagen, daß ich in der
Wilhelma erstaunlich gute und zuverlässige Mitarbeiter antraf, man mußte sie
nur zu nehmen wissen. Unter der Devise »nur nichts Neues« waren sie
unverschuldet in einen äußerst gemütlichen Trott hineingeraten. Im Grunde
hingen sie mit einer weit größeren Liebe an ihren Pflanzen und der Wilhelma,
als man bei einem derart müden Laden erwarten konnte. Es ging ein Aufatmen
durch die Reihen, daß sich mit meinem Dienstantritt endlich etwas tat. Ich
hatte mich in eine große Begeisterung hineingesteigert und war so fasziniert
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